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Dr. Volker Wissing

Quelle: Bundesregierung / Jesco Denzel

Es soll ein Zeichen für Fortschritt und Aufbruch sein: Anders als seine Vorgänger ist Volker Wissing laut Jobtitel nicht in erster Linie Verkehrs-, sondern Digitalminister.

Die Ampel hatte den Namen nach Amtsantritt extra umgedreht, sein Haus offiziell „Bundesministerium für Digitales und Verkehr“ genannt. Digitales zuerst. Wissing wurde in Landau in der Pfalz geboren, stammt aus einer Winzerfamilie, hat rund 1000 Flaschen in seinem Weinkeller. Er ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.

BILD am SONNTAG: Herr Wissing, wann hat sich der Digitalminister das letzte Mal über das Internet geärgert?

Volker Wissing:

Zuletzt richtig geärgert habe ich mich über eine Internetbestellung, die einfach nicht bei mir ankommen wollte. Es ging blöderweise um ein Heuschnupfenmittel, da kann man nicht einfach zehn Tage warten. Generell muss ich aber sagen, dass das Internet alles in allem mein Leben sehr viel einfacher gemacht hat.

Viele Menschen sehen das anders, haben die Nase voll von immer neuen Online-Anträgen und der überbordenden Technik in ihrem Leben. Warum muss das alles so kompliziert sein?

Digitalisierung macht das Leben nur dann einfacher, wenn sie gut gemacht ist. Schlecht gemachte Digitalisierung verkompliziert die Dinge, und da gibt es leider noch zu viele Beispiele.

Wie wollen Sie konkret unser Leben einfacher machen?

Indem ich komplizierte Vorgänge abkürze. Ab dem 1. September können Sie zum Beispiel ein Auto komplett digital zulassen, direkt im Autohaus und ohne Gang zur Kfz-Zulassungsstelle. Das wird eine deutliche Erleichterung für sehr viele Menschen.
Darüber hinaus will ich, dass der Führerschein, der Personalausweis und andere Dokumente in Zukunft digital auf dem Handy gespeichert werden können, damit man sie nicht ständig mit sich rumschleppen muss. Auch das Deutschlandticket zeigt, dass digital und einfach zusammen geht. Damit brechen wir eine jahrzehntealte, verkrustete Tarifstruktur auf. Ab 1. Mai reicht ein digitales Ticket, um den gesamten ÖPNV in unserem Land zu nutzen.

Im Alltag müssen sich die Menschen dann trotzdem mit komplizierter Technik rumschlagen. Selbst Waschmaschinen haben inzwischen einen Internetzugang ...

Es wird kein Zurück in die Zeit vor dem Internet geben. Ich will aber, dass das Digital-Durcheinander in Deutschland ein Ende hat. Es darf nicht sein, dass digitale Systeme nicht aufeinander abgestimmt sind und deshalb Daten nicht übertragen werden können. Deshalb brauchen wir mehr Standards und Normen im Digitalen. Übrigens auch und vor allem auf staatlicher Ebene.

Wie meinen Sie das?

Die öffentliche Verwaltung in Deutschland arbeitet mit zu unterschiedlichen Systemen. Es ist doch absurd, wie oft man im Laufe seines Lebens auf dem Amt seinen Namen, sein Geburtsdatum und seine Anschrift angeben muss. Einmal sollte reichen. Das scheitert im Moment daran, dass die Verwaltung mit ganz unterschiedlichen Systemen arbeitet. Die Verwaltung in Hessen kann nicht ungehindert mit der in Thüringen kommunizieren und deshalb dort auch nicht alle Daten abrufen. Wir brauchen Schnittstellen, die das ändern.

Und wenn ich aus Datenschutzgründen nicht will, dass meine Daten zentral verfügbar sind?

Der Datenschutz leidet am allermeisten unter dem Durcheinander. Sie wissen doch gar nicht, wo Ihre Daten gerade liegen und wer sie wofür verwendet. In Estland ist das ganz anders. Da gibt man dem Staat genau einmal seine Daten und jedes Mal, wenn sie abgerufen werden, wird man darüber informiert. Das brauchen wir in Deutschland auch.

Gehen wir nicht zu leichtsinnig mit unseren Daten um und reicht der Datenschutz in Deutschland?

Datenschutz ist wichtig, darf aber nicht als Bremse bei der Digitalisierung vorgeschoben werden. Der Datenschutz in Deutschland muss vereinfacht werden. Es geht nicht mehr, dass die Datenschutzbehörden in jedem Bundesland unterschiedlich entscheiden. Wir wollen Kompetenzen klarer sortieren und die Rolle einer übergeordneten Stelle stärken. Vielfalt ist eine Bereicherung im Föderalismus, aber Vielfalt ist keine sinnvolle Option bei der Digitalisierung.

Machen die Bundesländer da mit?

Da würde ich mir mehr Zusammenarbeit wünschen. Es braucht dringend eine regelmäßige Digitalministerkonferenz mit starken Kompetenzen. Ich erwarte von den Ländern, dass sie sich stärker dazu bekennen und in ihren Regierungen die Zuständigkeit fürs Digitale klar regeln.
So wie die Kultusministerkonferenz dafür sorgt, dass ein bayerisches Abitur auch in NRW anerkannt wird, muss eine starke Digitalministerkonferenz dafür sorgen, dass in Sachsen digitalisierte Daten auch in Bremen abgerufen werden können. Wir brauchen mehr Koordination und einheitliche Standards.

Wie wollen Sie verhindern, dass vor allem ältere Menschen ohne Internet abgehängt werden?

Auch für ältere Menschen macht Digitalisierung das Leben einfacher. Je mehr Formulare sie im Internet einreichen können, desto seltener müssen sie am Amt anstehen. Mein Ziel ist, dass es dabei einfacher ist, das digitale Formular auszufüllen als das analoge.
Ein weiterer Vorteil: Durch die digitale Antragsbearbeitung haben auch die Mitarbeiter am Amt mehr Zeit für Kundenberatung. Denn für mich ist klar: Wer keinen Internetzugang hat, muss auf andere Hilfe zurückgreifen können. Niemand darf durch die Digitalisierung abgehängt werden.

Alle reden gerade von den Fortschritten bei der künstlichen Intelligenz. Wie wird die künstliche Intelligenz unser Leben verändern?

Es ist atemberaubend, was künstliche Intelligenz inzwischen kann. Das Programm ChatGPT kann in Minuten Texte schreiben, für die Menschen Stunden oder Tage brauchen. Die künstliche Intelligenz ist im Alltag angekommen und sie wird unser Leben grundlegend verändern – und zwar positiv!

Wie werden Sie als Digitalminister auf diese Entwicklung reagieren?

Wir müssen jetzt klug reagieren und künstliche Intelligenz vernünftig regulieren, bevor es dafür zu spät ist. Das darf nicht wieder Jahre dauern. Ich setze mich deshalb dafür ein, dass wir in Europa schnell einen gesetzlichen Rahmen für den Einsatz von künstlicher Intelligenz schaffen, der sicherstellt, dass diese neue Technologie nur dann eingesetzt werden darf, wenn sie sich an europäische Werte wie Demokratie, Transparenz und Neutralität hält. KI-Systeme dürfen uns nicht manipulieren, sie müssen uns unterstützen.

Die Innovation kommt schon wieder aus den USA. Wieso gelingt so was nicht in Deutschland?

Deutschland ist in der Entwicklung von künstlicher Intelligenz ganz vorne mit dabei. Deshalb darf die Regulierung auch nicht über das Ziel hinausschießen. Totalitäre Systeme wollen künstliche Intelligenz einsetzen, um die Freiheit einzuschränken. Wir dürfen ihnen nicht das Feld überlassen. Wir brauchen europäische KI-Anwendungen, die auf einer vertrauenswürdigen gesetzlichen Basis entstehen.

Italien hat bereits hart reguliert und ChatGPT die Verwendung italienischer Daten verboten.

Wenn alle Staaten in Europa diesem Vorbild folgen, werden bei uns keine KI-Anwendungen entwickelt. Dann werden wir uns in Zukunft nur noch mit chinesischen und amerikanischen Systemen auseinandersetzen müssen. Die Menschen werden auf diese Technologie nicht verzichten wollen. Ein Verbot ist der völlig falsche Weg.

Das Interview erschien am 16. April 2023. Das Interview führten Thomas Block und Burkhard Uhlenbroich von der Bild am Sonntag