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Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing

Quelle: BMDV

Mit der Generalsanierung startet das größte Sanierungsprojekt in der Bahn-Geschichte. Warum die Sanierung der Riedbahn entscheidend ist, erklärt Bundesverkehrsminister Volker Wissing im aktuellen Interview.

Herr Wissing, während der Fußball-EM kam es zu teilweise chaotischen Verhältnissen bei der Bahn. War Ihnen das peinlich?

Was den Fans teilweise wiederfahren ist, entspricht nicht dem Anspruch Deutschlands und nicht dem Anspruch, den ich an unsere Verkehrsinfrastruktur habe. Für viele der Geschehnisse gibt es vor allem zwei Gründe. Erstens: Mit der Ankündigung, während der EM täglich 10.000 zusätzliche Sitzplätze im Zugverkehr zur Verfügung zu stellen, hat sich die DB übernommen. Auch wenn die Absicht dahinter sicher gut war, kann das Netz im derzeitigen Zustand diese zusätzlichen Kapazitäten nicht bewältigen.

Und zweitens?

Die ersten Wochen der EM waren geprägt von Starkregen und den anhaltenden Folgen der Überschwemmungen im Süden. Für solche Extremwetterlagen ist das Netz nicht ausgelegt, weil die Entwässerungssysteme diese Wassermassen nicht aufnehmen können. Deshalb haben wir für die am Montag beginnende Generalsanierung der Hochleistungskorridore auch vorgesehen, dass dabei die Entwässerungsanlagen verbessert werden. Die Infrastruktur wird also nicht nur moderner, sondern auch resilienter gegenüber klimawandelbedingten Extremwetterlagen.

Wenn jetzt diese Generalsanierungen von insgesamt 41 Strecken mit einer fünfmonatigen Sperrung und Totalrenovierung der Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt am Main beginnen: Wann werden die Fahrgäste zum ersten Mal eine Verbesserung spüren?

Sobald die Riedbahn fertig ist. Mit ihr schaffen wir den ersten hochmodernen Korridor. Und weil die Riedbahn zu den meistbefahrenen Strecken in Deutschland zählt, hat sie einen sehr starken Einfluss auf den gesamten Schienenverkehr.

Im Juni ist nur gut jeder zweite Fernverkehrszug pünktlich angekommen, wobei die ausgefallenen Züge gar nicht mitgerechnet wurden. Ab welcher Pünktlichkeitsquote würden Sie von einem Erfolg der neuen Sanierungsstrategie sprechen?

Jede Baumaßnahme im Rahmen der Sanierung der Hochleistungskorridore macht die Infrastruktur weniger störungsanfällig und erhöht die Kapazität. Das soll die Verspätungen im Gesamtnetz kontinuierlich auf ein unvermeidbares Minimum reduzieren.

Die Runderneuerung der Riedbahn soll 1,3 Milliarden Euro kosten, die der Strecke Hamburg-Berlin 2025/26 dann 2,2 Milliarden. Was aber kostet das Gesamtpaket bis 2031?

Derzeit ist dazu keine seriöse Aussage möglich. Wir können nicht Kosten für das Jahr 2030 sicher vorhersagen. Jeder Korridor ist vom Leistungsumfang her anders und wie sich die Baupreise entwickeln, lässt sich auch nur prognostizieren.

Warum aber haben bei solcher Unklarheit sämtliche Korridorsanierungen schon Gesetzeskraft, warum sind sie im Bundeschienenwegeausbaugesetz aufgelistet?

Die Auflistung war nötig, um klarzustellen, dass die Finanzierung dieser Maßnahmen anderen Regeln folgt als die sonstiger Reparaturen am Netz. Zugleich legt das Gesetz fest, dass die Sanierung jedes einzelnen Korridors unter dem Vorbehalt der Freigabe der nötigen Haushaltsmittel durch den Bundestag steht.

Sodass das Gesamtpaket unter Vorbehalt steht?

Nein, das Paket ist gesetzlich vereinbart. Das Bundesverfassungsgericht hat aber enge Grenzen gesetzt, was die Haushaltsführung angeht und betont, dass Entscheidungen des Haushaltsgesetzgebers strikt dem Jährlichkeitsprinzip unterliegen. Wir müssen darum jedes Jahr aufs Neue darlegen, wie viele Mittel wir für die im kommenden Jahr anstehenden Arbeiten brauchen. Das macht die Planung solcher Großprojekte nicht einfacher, weil die Bauindustrie langfristige Planungssicherheit braucht, um Baukapazitäten aufbauen zu können. Darum kämpfe ich nicht nur für den jeweils kommenden Haushalt, sondern auch darum, dass die Mittelfristplanung diese Sicherheit wiederspiegelt.

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie und Beratergremien des Verkehrsministeriums befürworten eine Finanzstruktur, bei der genau definierte Verkehrsprojekte vertraglich festgelegt und finanziell über mehrere Jahre hinweg finanziell abgesichert werden. So machen das bei der Bahn die Schweiz und Österreich. Warum kommt das bei uns nicht auf den Weg?

Wir haben schon sehr viel auf den Weg gebracht. Wir haben unter anderem das Konzept der Hochleistungskorridore und dessen gesetzliche Voraussetzungen geschaffen, wir haben Finanzmittel für einen Hochlauf der Netz-Investitionen bereitgestellt und damit einen Aufbau der Kapazitäten in der Bauindustrie ermöglicht. Aber wegen des Investitionsstaus in Deutschland – den ich vorgefunden und nicht verursacht habe – müssen wir auch fragen, wie wir die Infrastrukturinvestitionen verstetigen können. Darüber denken wir intensiv nach. Wir müssen aber parallel noch einen Krieg ertragen, den Russland über die Ukraine gebracht hat, und werden mit immer neuen Stresssituationen in der Haushaltspolitik konfrontiert.

Wer hat den Investitionsstau und das marode Netz bei der Bahn denn verursacht?

Diejenigen, die einen Fehlanreiz geschaffen haben. Durch das erst jetzt von uns beendete Prinzip, dass die Deutsche Bahn die Sanierung einer Strecke bezahlen muss, der Bund aber deren Erneuerung, entstand der Anreiz, die Reparatur und Sanierung hinauszuzögern, bis die Anlagen so kaputt waren, dass eine Erneuerung vom Bund bezahlt werden musste. Das Ergebnis: Nun sind die Anlagen kaputt.

Also sind Ihre Amtsvorgänger als Verkehrsminister verantwortlich?

Selbstverständlich tragen meine Amtsvorgänger die Verantwortung dafür, dass die Bahn in diesen Zustand geraten ist.

Der beschriebenen Fehlanreiz ist nicht die einzige paradoxe Regelung, die jetzt die Kosten im Bahnverkehr nach oben treibt: Künftig wird die Maut für alle Züge, die sogenannten Trassenpreise, deutlich steigen, weil der Staat das Eigenkapital der Deutschen Bahn um Milliarden erhöht. Diese Milliarden müssen verzinst werden, deshalb muss die Bahn womöglich die Preise erhöhen oder einzelne Strecken streichen. Kann das wirklich so bleiben?

Wir schauen uns die Entwicklung der Trassenpreise genau an. Die aktuell geltenden Regelungen können keine dauerhafte Lösung sein. Perspektivisch werden wir nicht umhinkommen, das zu modifizieren.

Für das Schienennetz ist die gemeinwohlorientierte Bahn-Tochtergesellschaft InfraGo zuständig. Warum muss ein gemeinwohlorientiertes Staatsunternehmen Gewinn machen, indem es sein Kapital mit mehr als fünf Prozent verzinst, so dass die Trassenpreise noch stärker steigen?

Die InfraGo muss Geld erwirtschaften, sonst kann sie die Infrastruktur nicht instandhalten. Gleichwohl: Wir schauen uns die aktuellen Effekte sehr genau an. Und dort, wo wir eine nicht sachgerechte Erhöhung der Trassenpreise vermeiden können, werden wir Verbesserungen vorschlagen.

Zurück zur Riedbahn: Werden Sie den DB-Vorstand daran messen, was bei der Generalsanierung herauskommt?

Ich werde das Management der Deutschen Bahn selbstverständlich daran messen, dass die Riedbahn-Sanierung gelingt.

Lassen auch Sie selbst sich daran messen?

Ich werde ohnehin daran gemessen. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass sich der Bundesverkehrsminister um die Lösung der Probleme kümmert.

Das Interview führten Matthias Kamann und Philipp Vetter, es erschien ursprünglich hier auf welt.de.