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Volker Wissing

Quelle: BMDV

Die Bahn muss wieder zuverlässig sein, fordert der Bundesverkehrsminister im Interview. Die Riedbahn-Baustelle weise den Weg aus der Krise. Aber reicht am Ende das Geld?

MAINZ. Das Schienennetz ist marode, das Personal frustriert, die Pünktlichkeit der Züge miserabel: Die Deutsche Bahn ist in einem traurigen Zustand. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) will das ändern. Dazu hat er der Bahn ein neues Sanierungskonzept für die Infrastruktur verordnet. Im ICE-Tempo sollen die 40 wichtigsten Streckenabschnitte auf Vordermann gebracht werden. Auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim wird das ambitionierte Konzept inklusive Streckensperrung gerade zum ersten Mal umgesetzt. Und es funktioniere, sagt Wissing im Interview. Doch ist auch das Geld für die nächsten Abschnitte vorhanden? Und was muss sich noch bei der Bahn ändern, damit sie irgendwann wieder zuverlässig fährt?

Herr Minister, wann sind Sie zuletzt mit der Bahn pünktlich angekommen?

Ich bin schon oft pünktlich angekommen. Aber ich weiß, worauf Sie hinauswollen.

Jeder dritte Fernzug ist verspätet - ein katastrophaler Wert. Ausländische Medien haben sich während der Fußball-EM über die unzuverlässige Bahn lustig gemacht. Schmerzt das den Verkehrsminister?

Die Werte für die Pünktlichkeit im Fernverkehr lagen im Juli bei 62 Prozent - das heißt: nur zwei von drei Zügen sind pünktlich. Im Regionalverkehr liegen wir bei über 90 Prozent. Dennoch entspricht der aktuelle Zustand nicht dem Anspruch, den wir an unsere Leistungsfähigkeit haben. Das kann nicht so bleiben.

Welches Pünktlichkeitsziel wäre für Sie akzeptabel?

Die Bahn muss wieder zuverlässig werden. Es muss die absolute Ausnahme sein, dass man unpünktlich ankommt. Aber die Lösung ist ja bereits in Arbeit.

Sie meinen die Sanierung zentraler Streckenabschnitte bei gleichzeitiger Vollsperrung der Trasse, wie sie seit etwa sechs Wochen auf der Riedbahn passiert.

Ja. Das ist unsere Premiere. Schon nach Fertigstellung im Dezember erwarten wir eine spürbare Entspannung im Netz. Wir erbringen dort in fünf Monaten eine Bauleistung, für die wir sonst sechs bis acht Jahre brauchten. Die Riedbahn ist besonders marode, über sie fährt jeder fünfte Zug in Deutschland. Wir operieren hier am offenen Herzen, klemmen die Aorta für fünf Monate vom Organismus ab.

Liegen Sie bei der OP im Zeitplan?

Ja, es läuft sehr gut. Ich war kürzlich selbst an der Baustelle und war begeistert. Die Menschen, die dort arbeiten, sind alle hochmotiviert. Sie erbringen - mit voller politischer Unterstützung - eine Höchstleistung, die international Beachtung findet. Kürzlich war der Infrastrukturvorstand der Schweizer SBB an der Baustelle und hat gesagt: Chapeau! Hier können wir von Deutschland etwas lernen. So etwas haben wir lange nicht mehr gehört.

Die Riedbahnsanierung ist nur der erste Schritt, 2025 soll es unter anderen mit der Strecke Berlin-Hamburg weitergehen. Wie sieht es aus mit der mittelfristigen Finanzierung?

Bis 2030 hat die DB den finanziellen Mehrbedarf auf 40 bis 45 Milliarden Euro beziffert. Das ist in Zeiten knapper Kassen ambitioniert. Aber ich bin von unserem gemeinsamen Sanierungskonzept überzeugt. Als ich ins Ministerium gekommen bin, habe ich eine desolate Bahn vorgefunden. Das Prinzip der Sanierung unter rollendem Rad führte dazu, dass es immer schlimmer wurde. Seit vielen Jahren wurde nur geflickt. Irgendwann kommen Sie an den Punkt, wo es nicht mehr geht - da sind wir jetzt.

Und die Bahn bekommt die Milliarden, die sie für die weiteren Operationen an ihrem verschlissenen Organismus benötigt?

Ja, dafür habe ich auch in diesen Haushaltsverhandlungen wieder hart gekämpft.

Bitte konkret: Ist das nötige Geld für die nächsten Baumaßnahmen vorhanden?

Gesichert sind die Finanzmittel für 2024 und für 2025, sobald der Bundeshaushalt verabschiedet ist. Außerdem ist sichergestellt, dass die Bahn 2025 die Aufträge für das Folgejahr vergeben kann. 2026/27 wird man sich dann mit der Finanzierung der nächsten Jahre beschäftigen.

Es bleibt mittelfristig eine Unsicherheit.

Für mich wäre es am einfachsten, wenn ich heute schon das ganze Geld bis 2030 hätte. Dann könnte ich mich zurücklehnen. Das ist angesichts der Haushaltssituation nicht möglich - aber auch nicht nötig, weil sich durch die beschriebene Vorgehensweise zeitlich nichts in die Länge zieht.

Und die von der Industrie eingeforderte Planungssicherheit?

Wir haben schon jetzt einen deutlichen Aufwuchs um über 20 Milliarden Euro. Damit haben wir ein ausreichend starkes Signal gesendet, dass es sich lohnt, Kapazitäten aufzubauen. Aber natürlich brauchen wir am Ende auch die Milliarden, die noch offen sind. Ich glaube nicht, dass nach den Erfolgen, die wir erwarten, jemand die Hochleistungskorridorsanierung infrage stellen wird.

Die Infrastrukturgesellschaft der Bahn hat angekündigt, ihre Trassenpreise deutlich zu erhöhen. Ist das nicht ein fatales Signal, weil dadurch höhere Ticketpreise drohen?

Klar ist, dass die gigantischen Investitionen auf die Trassenpreise durchschlagen. Wir wollen, dass die Schiene attraktiv bleibt. Deshalb hat der Bund in der Vergangenheit die Trassenpreise bezuschusst, und das wird er auch weiter tun.

Macht das Sinn - die Bahn-Tochter erhöht die Trassenpreise und Sie subventionieren sie wieder herunter?

Die Frage ist berechtigt. Wir wollen das System der Trassenpreise deshalb modernisieren.

Im Ausland gibt es Infrastrukturfonds für Verkehrsprojekte. Wäre das auch für Deutschland ein Weg?

Im Infrastrukturbereich ist es sinnvoll, langfristige Investitionen möglichst frühzeitig abzusichern. Das Bundesverfassungsgericht besteht aber auf dem Jährlichkeitsprinzip, wonach Gelder nur für ein Jahr festgelegt werden dürfen. Das ist für Infrastrukturprojekte aber schwierig, da sie nicht innerhalb eines Jahres abgeschlossen werden können. Wir müssen also überlegen, ob wir nicht wie in anderen Ländern beispielsweise privates Kapital mobilisieren können.

Wie schnell könnte ein Fonds kommen?

Wenn Infrastrukturprojekte nicht abgesichert sind, führt das zu Wachstumseinbußen und diese führen zu weniger Steuereinnahmen. Das ist ein Teufelskreis, den man durchbrechen muss. Das ist aber nichts, was sich auf die Schnelle lösen lässt und sicher auch ein Legislatur übergreifendes Thema.

Die Bahnmitarbeiter bekommen viel vom Frust der Kunden ab und sind selber frustriert. Können Sie das nachvollziehen?

Die Mitarbeiter sind das Wertvollste, was die Bahn hat. Viele stammen aus Familien, die seit Generationen bei der Bahn arbeiten. Das ist für sie nicht irgendein Job, für sie ist es eine Berufung. Aber sie können auf der Grundlage einer desolaten Infrastruktur oft keine zufriedenen Kunden erleben. Das will ich ändern.

Was muss geschehen?

Wir sanieren bereits das Schienennetz. Aber die Bahn hat auch einen strukturellen Anpassungsbedarf. Daraus ergeben sich Konsolidierungsaufgaben.

Die Bahn will 30.000 Stellen streichen. Aber wo sollen die Arbeitsplätze abgebaut werden?

Die Bahn wird nicht im operativen Bereich Stellen kürzen. Im Gegenteil, wir brauchen ja zusätzliches Personal, um unser Netz wieder in Schuss zu bekommen und auch ausreichend Fahrpersonal. Dafür muss die Bahn aber im Verwaltungsbereich Effizienzen heben.

30.000 Stellen allein im Verwaltungsbereich abzubauen, ist schwer vorstellbar…

Eigentum verpflichtet. Und als Vertreter der Eigentümer stelle ich fest, dass neben der Sanierung des Netzes auch strukturelle Anpassungen im wirtschaftlichen und organisatorischen Bereich dringend notwendig sind. Diese müssen konkret und nachprüfbar sein. Diese Erwartung habe ich mit dem Bahnchef besprochen und mein Ziel ist es, dazu zeitnah ein Konzept mit klaren Zielen zu vereinbaren.

Es wird also kein Stellenabbau beim rollenden Personal geben?

Das ist nicht unser Ziel. Mir geht es vor allem um eine effiziente Steuerung.

Können Sie Beispiele für Effizienzgewinne nennen?

Im IC-Betriebswerk Köln-Nippes werden Fernzüge bereits mit Kameras inspiziert. Eine KI erstellt einen Bericht mit den Mängeln und empfiehlt, in welcher Reihenfolge diese beseitigt werden sollten. Das ist effizienter und man kann ohnehin knappes Personal entlasten. Wir wollen die Bahn nicht kaputtsparen, sondern Effizienzen heben

Das Interview führten Jens Kleindienst und Karl Schlieker, es erschien ursprünglich hier in der Allgemeinen Zeitung Rheinhessen-Nahe am 28. August.