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Dr. Volker Wissing

Quelle: Bundesregierung / Jesco Denzel

Im Interview erklärt Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Digitales und Verkehr, wo es bei der Verkehrswende hakt, wie er marode Verkehrsinfrastruktur wieder flott machen will und warum in Deutschland mehr Mobilitätsdaten benötigt werden.

Deutschlands Fortschritte bei der Digitalisierung gelten im internationalen Vergleich als bescheiden. Wie sehen Sie das?

Ganz anders. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren, also in kurzer Zeit, viel erreicht. Beim Netzausbau sind wir auf der Überholspur: Wir sind bei 97 Prozent Netzabdeckung, bei 5G liegen wir bei gut 91 Prozent, das Glasfaser-Angebot ist innerhalb eines Jahres um 50 Prozent gewachsen.

Im Gesundheitsbereich startete das E-Rezept, wir haben ein Gesundheitsdaten-Gesetz verabschiedet. Im Mobilitätsbereich gibt es das digitale Deutschland-Ticket, die digitale Kfz-Anmeldung, wir arbeiten an der digitalen Schiene. Und bald kommt das Mobilitätsdatengesetz, um die Datenverfügbarkeit zu verbessern.

Was versprechen Sie sich von diesem Mobilitätsdatengesetz?

Die Gesellschaft hat die Bedeutung von Daten noch nicht genug im Blick, gerade für die Mobilität. Immer wieder sagen mir Leute, der Papierfahrschein würde doch reichen, eine Ticket-App sei nicht nötig. Aber generiert Papier genug Daten, um den Verkehr multimodal und individuell organisieren zu können? Nein, das tut es nicht. Stattdessen verhindert es die Digitalisierung.

Warum?

Durch künstliche Intelligenz und bessere Daten können Start-ups im Mobilitätsbereich tolle digitale Geschäftsmodelle entwickeln. Dank ihrer Kreativität wird sich Mobilität viel besser aufeinander abstimmen lassen und für jeden Einzelnen passgenaue Angebote ermöglichen.

Dann kann die Reise-Kette mit dem Fahrrad oder Auto losgehen, man steigt um in den Zug, nutzt Carsharing und zum Schluss vielleicht den Bus. Das alles vorher einzeln zu recherchieren und zu buchen, ist niemandem zuzumuten. Wenn aber alle Fahrplandaten digital vorhanden und Angebote plattformübergreifend buchbar sind, wird es kundenfreundlich.

Viele Unternehmen des öffentlichen Personenverkehrs und Sharing-Anbieter geben Daten nicht oder nur teilweise weiter. Was muss sich da ändern?

Zunächst müssen wir dafür sorgen, dass überhaupt Daten generiert werden, zum Beispiel mit digitalen Tickets. Und dann brauchen wir Datenverfügbarkeit. Wir müssen wissen, wo und in welchem Format die Daten liegen, um sie für Unternehmen zugänglich zu machen. Einheitliche Standards sind ebenfalls ganz wichtig.

Deshalb haben wir den Mobility Data Space geschaffen. Das ist eine Plattform, wo Daten vertrauensvoll getauscht und standardisiert zur Verfügung gestellt werden können, um sie miteinander verknüpfen zu können. Natürlich keine personalisierten Daten. Wir wollen nicht wissen, wer, sondern wie viele zu einer gegebenen Zeit unterwegs sind. Damit die Busse nicht leer oder zu voll fahren.

Was sollte für Fahrzeugdaten gelten?

Ziel muss sein, der Allgemeinheit möglichst viele Daten zur Verfügung zu stellen, und gleichzeitig die Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen zu schützen. Hier muss beim Eigentumsschutz eine Grenze gezogen werden. Auch damit die Fahrzeughersteller nicht den Anreiz verlieren, innovative Produkte zu entwickeln.

Auch wenn es in manchen Bereichen vorangeht, anderes verzögert sich. So ist die digitale Pkw-Anmeldung bei weitem noch nicht überall möglich. Woran liegt das?

Die digitale Kfz-Zulassung bedeutet Fortschritt durch niedrigere Gebühren und schnellere Verfahren. Außerdem gibt es dadurch keine Wartezeiten mehr. Allerdings sind wir nicht auf allen staatlichen Ebenen – also in den Bundesländern, Städten und Gemeinden – gleichermaßen umsetzungsstark. Während das System vielerorts schon reibungslos läuft, haben andere Kommunen ihre IT-Hausaufgaben nicht gemacht. In unserem föderalen System ist aber entscheidend, dass alle Ebenen die Digitalisierung zu ihrer Priorität machen und entsprechend handeln.

Beim autonomen Fahren scheinen uns die USA meilenweit voraus zu sein, dort fahren schon autonome Taxis im Stadtverkehr. Verlieren wir den Anschluss?

In den USA gibt es ganz andere Rechtsnormen. In Amerika sind die Behörden sehr großzügig beim Genehmigen – und die Gerichte sehr großzügig beim Verhängen von Strafen gegen die Betreiber, wenn doch etwas passiert. Da kommen enorme Schadenersatzzahlungen zusammen. Der Staat entzieht die Genehmigungen dann sehr schnell wieder.

In Deutschland tendieren wir dazu, erst ordentlich zu prüfen und dann zuzulassen. Die Menschen erwarten vom Staat, dass er nichts genehmigt, was ihnen Schaden zufügen kann. Ich kann mit diesen Unterschieden leben. Gerade beim autonomen Fahren ist es nicht so, dass wir in Deutschland im Wettbewerb schlechter dastehen als andere. Wir sind ganz vorne mit dabei.

Besonders wichtig könnte die Automatisierung beim ÖPNV werden: Vier von zehn Bus- und Straßenbahnfahrerinnen und -fahrern sind älter als 55 und gehen in den nächsten Jahren in Rente.

In Hamburg finden derzeit mehrere Pilotprojekte statt, etwa mit modernen, vollelektrischen Shuttle-Bussen. Bis 2030 sollen in Hamburg bis zu 10.000 autonome Fahrzeuge unterwegs sein und ein neues digitales On-Demand-Verkehrsangebot schaffen, das für den ländlichen Raum adaptiert werden kann. Im Bahnverkehr arbeiten wir daran, dass die Schienensysteme digital werden. Damit sich Züge in Echtzeit steuern lassen oder sogar vollautomatisiert fahren können. Das ermöglicht einen dichteren Takt, weniger Verspätungen und weniger Zugausfälle. Davon profitieren am Ende nicht nur Reisende, sondern auch das Klima.

Wann wird das so weit sein?

In geschlossenen Nahverkehrssystemen wie U-Bahnen gibt es das schon. Zum Beispiel in Nürnberg oder Hamburg. Kompliziert wird es, wenn Nah-, Fern- und Güterverkehr aufeinandertreffen. Auch hier sind wir weltweit vorn mit dabei. In Stuttgart schaffen wir gerade einen der weltweit ersten digitalen Bahnknoten.

Die Digitalisierung der Leit- und Sicherungstechnik im Schienenverkehr ist allerdings sehr zeit-, material- und kostenintensiv. Dafür muss man nicht nur neue Steuerungen im Netzsystem verbauen, sondern auch in den Zügen. Das ist eine große Herausforderung, die Milliarden kostet und uns in den nächsten Jahren sehr fordern wird.

Ist die Sanierung des maroden Schienennetzes nicht noch wichtiger als die Digitalisierung?

Wir kümmern uns um beides gleichzeitig. Bis zum Jahr 2030 werden die Schienen auf den wichtigsten Bahnkorridoren nicht mehr repariert, sondern gleich erneuert. Die Strecken werden gesperrt und die alten Gleise sowie die Signaltechnik und Oberleitungen ausgetauscht. Anschließend wird die gesamte Infrastruktur neu aufgesetzt – inklusive der Digitaltechnik.

In der Bundesregierung wird heftig übers Geld gestritten – reicht es für diese Pläne?

Für das Jahr 2024 auf jeden Fall. Mehr Geld könnte man gar nicht verbauen. Einerseits, weil das Netz nicht mehr Baustellen verkraftet, andererseits, weil die Kapazitäten bei der Bauindustrie ausgeschöpft sind. 2025 sind ebenfalls genug Mittel für die Korridorerneuerung vorhanden. Bis zum Ende der Generalsanierung des deutschen Schienennetzes im Jahr 2030 gibt es aber in der Tat noch eine Lücke, die in den kommenden Haushaltsrunden geschlossen werden muss

Bleibt dadurch weniger übrig, um in den Erhalt und Ausbau von wichtigen Straßen und ebenfalls in die Jahre gekommenen Brücken zu investieren?

Wir werden alles daran setzen, dass auf der Straße kein Bauvorhaben verschoben oder verkleinert wird. Die Investitionen der letzten Jahre bewegen sich auf Rekordniveau. Aber natürlich wissen wir, dass der Investitionsstau der vergangenen Jahrzehnte nicht von heute auf morgen abgebaut wird. Deswegen brauchen wir leider auch Geduld.

Sie haben vorgeschlagen, auch über einen Fond mit privatem Kapital die Sanierung der Verkehrsinfrastruktur zu finanzieren. Was versprechen Sie sich davon?

Es geht darum, einen nachhaltigen Hochlauf von Investitionsmitteln für die Verkehrsinfrastruktur zu sichern, wenn die Finanzen im Haushalt begrenzt sind. Deshalb stellt sich die Frage, ob wir nicht auch privates Kapital mobilisieren können. Wenn der Bund mal mehr und mal weniger Geld zur Verfügung stellt, finden sich wenige Unternehmen aus der Bauwirtschaft, die mit dieser Fluktuation kurzfristig so flexibel umgehen können. Das schränkt die Sanierungskapazitäten ein und führt zu höheren Preisen, wenn die Kapazitäten am Markt knapp sind.

Wäre das nicht auch ein Argument gegen die Schuldenbremse der Bundesregierung?

Nein. Die Schuldenbremse zwingt nur zum Priorisieren. Eine gute Regierung muss das Steuergeld klug verteilen. Im Jahr 2024 sind mehr Infrastrukturinvestitionen möglich, obwohl wir nach dem Klimafonds-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sparen müssen. Die Ampelkoalition hat also bewiesen, dass sie die richtigen Prioritäten setzen kann. Vor allem im Verkehrssektor ist aber noch viel zu tun, weil 20 Jahre zu wenig investiert worden ist. Als ich mein Ministeramt angetreten habe, fand ich 4000 marode Autobahnbrücken und ein bröselndes, 34.000 Kilometer langes bundeseigenes Schienennetz vor.

Wird es das Deutschland-Ticket auch im nächsten Jahr für 49 Euro geben?

Die Preise für den ÖPNV legen letztlich die Länder fest, nicht der Bund. Die beste Maßnahme, um den Preis zu stabilisieren, ist für das Deutschland-Ticket zu werben, um noch mehr Kundinnen und Kunden dafür zu begeistern. Die Länder haben leider lange Zeit öffentlich Debatten über eine angebliche Finanzlücke und mögliche Preiserhöhungen geführt. Wenn es gelingt, das Angebot zu verbessern, dann trägt das Deutschland-Ticket noch mehr dazu bei, CO₂-Emissionen im Verkehr zu senken und die Klimaschutzziele zu erreichen.

Damit wäre auch eine Pkw-Maut unnötig, wie sie die Wirtschaftsweisen kürzlich vorgeschlagen haben, weil der Verkehr seine CO₂-Senkungsziele seit Jahren verfehlt.

Das ist nichts, was die Bundesregierung verfolgt. Ich überlege mir, wie wir die Mobilität – dazu zählt auch die individuelle mit dem Auto – für jede und jeden in Deutschland bezahlbar gestalten. Das Auto ist und bleibt für viele Menschen unverzichtbar, vor allem wenn man auf dem Land lebt. Statt Pkw mit Verbrennermotoren so teuer zu machen, dass sie sich niemand mehr leisten kann, bin ich für Technologieoffenheit und Wettbewerb im Automarkt. Ein breites Angebot sorgt für gute Qualität und günstige Preise. Um in Deutschland klimaneutral zu werden, brauchen wir Elektro-, Wasserstoff- und E-Fuels.

Sie drängen immer wieder auf synthetische Kraftstoffe für Verbrenner. Rechnen Sie damit, dass für den Fahrzeugbestand in Deutschland in Zukunft genügend dieser E-Fuels verfügbar sein werden?

Es ist unrealistisch, dass bis zum Jahr 2045 die derzeit zugelassenen 45 Millionen Fahrzeuge mit Benzin- und Dieselmotoren durch Elektroautos ersetzt werden. Gleichzeitig soll Deutschland bis dahin jedoch klimaneutral sein. Es muss dann also ein Gleichgewicht zwischen Treibhausgas-Emissionen und deren Abbau herrschen. Deshalb setze ich mich für eine pragmatische Lösung des Problems ein. Mit den strombasierten Kraftstoffen können Autos mit Verbrennungsmotor klimaneutral betrieben werden – und das ohne neues Tankstellennetz.

Bisher läuft die Produktion von E-Fuels recht langsam und reicht nicht annähernd aus. Der Großteil davon ist außerdem für die Luft- und Schifffahrt vorgesehen. Wie wollen Sie das beschleunigen?

Indem ich mich darum kümmere. Wir laden im Juni zum zweiten Mal zu einer internationalen E-Fuels-Konferenz nach Deutschland ein. Das Interesse ist groß. Viele Staaten mit einer großen Automobilindustrie, etwa Japan, sind auf unserer Linie und sehen großes Potenzial bei E-Fuels – für alle Verkehrsträger.

Wir brauchen diesen internationalen Dialog, um internationale Standards für E-Fuels zu etablieren und Rechts- und Investitionssicherheit zu schaffen. Unser gemeinsames Signal ist: Wir brauchen E-Fuels. Das ist die grundlegende Voraussetzung, dass der Markthochlauf gelingt.

Die USA haben hohe Steuern auf chinesische E-Autos angekündigt, in der EU werden ähnliche Maßnahmen diskutiert. China flute die globalen Märkte mit künstlich verbilligten Exporten, heißt es zur Begründung. Was halten Sie davon?

Ich bin für offene, internationale Märkte und gegen eine Abschottung der deutschen Wirtschaft oder gar einen Handelskrieg mit China. Ich will weder Strafzölle noch unfaire Subventionen. Einfuhrzölle auf E-Autos aus China würden auch viele deutsche Hersteller treffen, die dort produzieren. Durch weniger Wettbewerb werden die Fahrzeuge außerdem nicht preiswerter. Für viele Bürgerinnen und Bürger sind die hohen Anschaffungskosten derzeit die größte Hürde.

Das Interview führten André Gieße und Thomas Paulsen, es erschien ursprünglich hier auf adac.de.