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Dr. Volker Wissing

Quelle: Bundesregierung / Jesco Denzel

Bundesverkehrsminister Volker Wissing hält die Taten der "Letzten Generation" auf Sylt für "unerträglich, nicht tolerabel und für kriminell". Was daraus folgt, erzählt er im Interview mit t-online.

Eigentlich soll es um eine neue Kampagne des Verkehrsministers gehen: Volker Wissing (FDP) will über "Mehr Achtung" im Straßenverkehr reden, ein dankbares Thema, denn wer könnte dagegen sein? An Achtung und Vorsicht mangelt es jedoch nicht nur im Straßenverkehr. Deswegen spricht t-online mit Wissing auch über Klimaschutz, die "Letzte Generation" und die Gefahren Künstlicher Intelligenz.“

t-online: Herr Bundesminister, fahren Sie eigentlich noch selbst Auto?

Zu Hause auf dem Land fahre ich gerne mal selbst zum Einkaufen oder zum Sport. Insgesamt fahre ich aber selten, auch weil mir als Bundesminister dafür die Zeit fehlt.

Sind Sie ein rücksichtsvoller Fahrer oder gibt es auch mal Momente, wo Sie aus der Haut fahren?

Ich habe mich unter Kontrolle.

Was ist Ihr Trick?

Ich neige nicht dazu, mich aufzuregen und lasse Emotionen im Straßenverkehr außen vor.

Mit der Kampagne #mehrAchtung wirbt Ihr Ministerium mit zahlreichen Partnern für mehr Rücksichtnahme im Straßenverkehr. Verhalten mit einer Kampagne zu verändern, ist schwerer, als Regeln in Form von Gesetzen durchzusetzen, oder?

Gesetze und Vorschriften sind immer nur die Ultima Ratio. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger aus Verantwortungsbewusstsein heraus handeln. Eine freie Gesellschaft besteht nicht aus Untertanen, die durch Vorschriften und Kontrolle zu irgendeinem Verhalten gezwungen werden.

Das Verantwortungsbewusstsein der Bürger ist das eine. Andererseits ist die Stimmung im Verkehr ja auch eine Frage der äußeren Umstände, und daran hakt es aktuell im Verkehr. Die Deutsche Bahn ist unpünktlich und genauso marode wie viele Straßen und Brücken. Sind das nicht alles Folgen einer verfehlten Verkehrspolitik?

Aktuell liegt das vor allem daran, dass sich Mobilität grundlegend verändert. Deswegen sind wir u.a. dabei, unsere Infrastruktur anzupassen. Wir haben einen starken Anstieg von Güterverkehr. Und wir haben ein zunehmend komplexes Miteinander im Verkehr, beispielsweise in den Städten. Dort war die Infrastruktur bisher darauf ausgerichtet, dass der Fußgänger sich dem Auto unterordnet und das Radfahren die Ausnahme ist. Das hat sich komplett geändert. Wir haben jetzt sehr viele Verkehre, die miteinander konkurrieren.

Was ist Ihre Lösung, um alle Forderungen zu erfüllen?

Jeder fordert, dass der jeweils andere zurückgedrängt werden soll. Aber das kann nicht die Lösung sein. Die Menschen müssen sich frei bewegen können. Und weil die Infrastruktur begrenzt ist, in der Stadt beispielsweise, ist #mehr Achtung neben vielen anderen Maßnahmen der Kommunen umso wichtiger.

Kürzlich hat der Städte- und Gemeindebund gefordert, den Städten und Gemeinden mehr Freiheit zu lassen, Tempo 30 bei Bedarf und ohne große Regelungsverfahren selbstständig einführen zu können. Warum sind Sie dagegen?

Ich habe kein Problem damit, dass überall dort, wo es einen Grund gibt, Tempo 30 eingeführt werden kann. Aber in Deutschland gilt grundsätzlich eine Regelgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts. Das ist u.a. wichtig für die Durchgangsverkehre, die sich sonst ihren Weg durch Wohngebiete suchen würden. Und wenn eine Gemeinde von dieser Geschwindigkeitsregelung abweichen will, dann bedarf das Ganze einer Begründung. Das Abweichen von der Regelgeschwindigkeit muss geeignet, erforderlich und angemessen sein – das fordert unsere Verfassung. Das bedeutet einen gewissen Aufwand, aber daraus kann man die Kommunen nicht entlassen.

Eine grundsätzliche Herabsetzung der Geschwindigkeiten lehnen Sie also ab?

Meine Gesprächspartner auf kommunaler Ebene haben klargemacht, dass auch sie kein generelles Tempo 30 in den Städten haben wollen.

Aber würden Sie ein generelles Tempo 30 gut finden?

Das würde ich nicht gut finden, weil es Durchgangsverkehre ausbremst und etwa in Wohngebiete verdrängt. Das kann doch niemand wollen.

Ihr Ministerium verfehlt die Klimaziele. Tempo-30-Zonen könnten auch hierbei helfen

Wir wollen das Straßenverkehrsgesetz erweitern, indem wir auch die Ziele des Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Ordnung mit aufnehmen. Und das ermöglicht neue Entscheidungsspielräume.

Was meinen Sie konkret?

Nehmen wir an, in einer abknickenden engen Dorfstraße steht ein Haus so dicht am Gehweg, dass dieser gefährlich schmal ist. Aktuell haben wir kaum Handlungsspielraum, dort ein Tempolimit einzuführen – auch, wenn eine Situation zwar als gefährlich empfunden wird, aber es noch keine Unfälle gab. Wenn wir die städtebauliche Ordnung als Ziel mit ins Straßenverkehrsgesetz aufnehmen, wäre das möglich. Das macht es dann für die Verwaltung wesentlich einfacher.

Sie haben beim EU-weiten Verbrenner-Aus ab 2035 gebremst und es an eine Bedingung geknüpft: Sie setzen auf synthetische Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, als Alternative. Was soll das bringen?

Es geht um die Frage, ob wir technologieoffen sind, um die Transformation zu bewältigen, oder ob wir jetzt, wo die Transformation noch lange nicht abgeschlossen ist, bereits Technologien ausschließen, deren Zukunftspotenzial wir heute noch gar nicht kennen. Wir wollen damit auch die Bestandsflotte klimaneutral bekommen, also die Benziner und Diesel, die bis 2035 zugelassen wurden. Ohne E-Fuels geht das nicht. Und weil wir dafür eine hohe Produktionsmenge brauchen, haben wir uns in Europa darauf verständigt, dass auch nach 2035 Autos mit Verbrennungsmotor zugelassen werden dürfen. Das ist ein wichtiges und notwendiges Signal an den Markt. Denn produziert wird nur, was eine Zukunftsperspektive hat. Die ab 2035 neu zugelassenen Fahrzeuge müssen dann allerdings eine Vorrichtung haben, dass sie nur mit E-Fuels fahren.

Kritiker sagen, dass man diese Entwicklungskosten für einen Kraftstoff, der mit hohem Energieaufwand hergestellt werden muss, besser in die Elektromobilität stecken sollte.

Das wäre schlecht fürs Klima, weil dann die Bestandsflotte nicht klimaneutral betrieben werden könnte. Wenn wir auf den Einheitsantrieb setzen und am Ende eine Knappheit an Batteriezellen haben, dann können die Bürgerinnen und Bürger nur diese eine Technologie wählen. Welche Technologie sich am Ende durchsetzt, soll der Markt entscheiden.

Einige dieser Kritiker sind vereint in der “Letzten Generation”. Die Meinungen über diese Gruppe gehen weit auseinander: Für die einen sind sie engagierte Umweltaktivisten, für die anderen eine kriminelle Vereinigung. Was sind sie in Ihren Augen?

Das ist Sache der Justiz. Es ist jedenfalls völlig inakzeptabel, mit Straftaten zu versuchen, politische Entscheidungen zu erzwingen. Im Namen der “Letzten Generation” werden vorsätzlich Straftaten begangen. Dieser Protest ist weder legal noch legitim. Es fordert den Rechtsstaat heraus. Das verurteile ich mit aller Schärfe.

Auf Sylt kam es nun zu Aktionen gegen ein Hotel und gegen einen Privatjet. Ist damit ein neues Ausmaß erreicht?

Ich halte diese Machenschaften für unerträglich, nicht tolerabel und für kriminell und bin der Meinung, dass die mit aller Härte des GesGesetzesetzes verfolgt werden müssen.

Von einem Aktivisten weiß man nun: Er war an beiden Aktionen beteiligt. Die Aktivisten würden direkt wieder von der Polizei entlassen und "können den nächsten Unsinn machen", kritisiert Sylts Dehoga-Chef Dirk Erdmann. "Da steht keiner für den Schaden gerade." Teilen Sie diese Einschätzung? Und was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern?

Das Recht, friedlich zu demonstrieren, ist ein hohes Gut. Wo aber Gewalt gegen Menschen oder Sachen das Mittel der Wahl wird, ist eine rote Linie überschritten. Wer sich in unserem Rechtsstaat der Nötigung, des Vandalismus und der Sachbeschädigung strafbar macht und auch keinerlei Einsehen zeigt, der muss auch die strafrechtlichen Konsequenzen tragen.

Trotzdem stimmten Sie kürzlich einem Treffen zu. Danach hieß es von der “Letzten Generation”, sie wolle ein weiteres Gespräch. Sie auch?

Wir haben ein Gespräch geführt, um das sie mich gebeten hatten. Der Dialog und die Auseinandersetzung gerade mit konträren Positionen sind Kernelemente eines lebendigen demokratischen Prozesses. Außerdem konnte ich die Forderungen, die an mich gerichtet wurden, nicht nachvollziehen.

Warum?

Weil diese Forderungen nicht überzeugend sind. Meine Politik beinhaltet mehr Klimaschutz als diese Forderungen. Und das fand ich Grund genug, mal darüber zu sprechen. Denn es ist ja etwas grotesk, dass man sagt: Man fordert vom Verkehrsminister weniger, als er für das Klima macht – und dann klebt man sich auf der Straße fest.

Es ging unter anderem ums Deutschlandticket, das 49 Euro kostet und inzwischen zehn Millionen Mal verkauft wurde. Die "Letzte Generation" fordert ein dauerhaftes "Neun-Euro-Ticket".

Ich habe im Gespräch dargelegt, warum das Deutschlandticket besser ist als der Alternativ-Vorschlag der “Letzten Generation”. Ich hatte den Eindruck, dass sie mir hier recht gegeben haben. Dann aber ist es umso schwieriger, wenn man sich trotzdem auf der Straße festklebt. Ich jedenfalls habe null Verständnis und auch null Toleranz für diese Art des Protestes.

Sie wollen mit ihnen also nicht noch einmal sprechen?

Nein. Ich will kein weiteres Gespräch mit der "Letzten Generation". Ich habe auch keinen Grund, das zu tun.

Als Digitalminister haben Sie auch mit einer weiteren neuen Entwicklung zu tun: nämlich mit Künstlicher Intelligenz (KI). Während Sie sich gegen zu viele Regeln aussprachen und mehr Raum für Innovationen wollten, warnten die Schöpfer der KI davor, dass sie die Menschheit auslöschen könne. Welche Gedanken gingen Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?

Ich habe mich schon immer für Regulierung von KI eingesetzt, aber gegen eine rein nationale Regulierung. Ich möchte, dass wir KI schnell regulieren, und zwar technologie- und innovationsfreundlich. Also nicht, um sie zurückzudrängen, sondern zur Einhaltung unserer europäischen Werte wie Demokratie und Transparenz. Das ist eine große Chance, weil wir dadurch vertrauenswürdige KI bekommen. Wir dürfen uns hier nicht in neue einseitige Abhängigkeiten von amerikanischen und chinesischen Anbietern begeben.

Haben Sie die KI Chat GPT schon selbst ausprobiert?

Ja.

Was fragt der Digitalminister die KI?

Ich habe das mit Sam Altmann zusammen ausprobiert, einem der Schöpfer der KI ChatGPT. Wir haben gefragt: Was sind die Kernelemente der Verkehrspolitik des deutschen Verkehrsministers?

Und wie hat Ihnen die Antwort gefallen?

Die war schon sehr beeindruckend. Wir haben sie dann in verschiedene Sprachen übersetzen lassen, unter anderem auch in eine leichte Sprache für Kinder. Solche komplexen Dinge einfach auszudrücken, gelingt ja nicht immer auf Anhieb. Daran verzweifelt man auch als Politiker öfter mal. KI kann schon heute Dinge, die wir als Menschen nur mit Mühe hinbekommen. Und genau das wird gewaltige Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft haben.
Mit guten Rahmenregelungen und klar definierten Mindeststandards liegt hier eine enorme Chance für unsere Gesellschaft. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels, kann KI helfen. KI erledigt in zwei oder drei Sekunden, was einen Menschen viel Zeit und Aufwand kostet – eine enorme Zeitersparnis, die dann für andere Aufgaben frei wird.

Das ist die gute Seite der KI. Es gibt aber auch eine gefährliche, wie ja selbst ihre Schöpfer einräumen.

Und deshalb müssen wir das dringend regulieren. Daran arbeiten wir mit unseren internationalen Partnern bereits und wir kommen auch gut voran. Denken wir beispielsweise an Russlands Krieg: Wir wissen, dass künstlich geschaffene „Journalisten“ täglich Dutzende prorussische Artikel veröffentlichen. Diese Personen gibt es aber überhaupt nicht – dahinter steckt KI. Das ist z.B. so ein Fall, vor dem wir schützen müssen. Es muss transparent nachvollziehbar sein: Wurde ein Artikel von Menschen geschrieben oder von einem Algorithmus generiert? Vor allem ist es problematisch, wenn dieser Algorithmus nicht informieren, sondern manipulieren will. Wir dürfen uns in dieser Debatte aber nicht von Ängsten leiten lassen. Ich bin überzeugt, dass KI mehr Chancen als Risiken bietet. KI hat ein immenses Potenzial, unser Leben besser zu machen und Lösungen für komplexe Probleme zu finden – etwa in der Medizin oder beim Klimaschutz. Wir wollen diese Technologie nutzen und aktiv mitgestalten.

Was ist daraus zu folgern?

Es muss transparent nachvollziehbar sein: Wurde ein Artikel von Menschen geschrieben oder von einem Algorithmus generiert? Vor allem ist es problematisch, wenn dieser Algorithmus nicht informieren, sondern manipulieren will. Wir dürfen uns in dieser Debatte aber nicht von Ängsten leiten lassen. Ich bin überzeugt, dass KI mehr Chancen als Risiken bietet. KI hat ein immenses Potenzial, unser Leben besser zu machen und Lösungen für komplexe Probleme zu finden – etwa in der Medizin oder beim Klimaschutz. Wir wollen diese Technologie nutzen und aktiv mitgestalten.

Wann wird es europäische Regeln geben?

Das EU-Parlament wird voraussichtlich am Mittwoch seine Position zu einer umfassenden KI-Verordnung verabschieden, dem AI Act. Dann beginnen die Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat. Deutschland wird sich für klare und umsetzbare Regeln einsetzen.
Parallel dazu treibe ich das Thema international voran. Wir werden uns noch in diesem Jahr mit den Digitalministern der G7-Staaten zu Mindeststandards für KI beraten. Da geht es um die Sicherung demokratischer Werte und den Erhalt unserer Wettbewerbsfähigkeit. Davon verspreche ich mir auch Impulse für die Verhandlungen auf EU-Ebene.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wissing.

Das Gespräch führten Markus Abrahamczyk und Christopher Clausen von t-online.