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Dr. Volker Wissing

Quelle: Bundesregierung / Jesco Denzel

Herr Wissing, Sie haben die EU-Entscheidung über das Verbrenner-Aus vorerst verhindert. Wen sehen Sie dabei an Ihrer Seite?

Wir wollen nichts verhindern, sondern eine gute Regulierung für klimaneutrale Mobilität erreichen. Das geht nur mit Technologieoffenheit. Diese Position teilen viele meiner Verkehrsministerkolleginnen und -kollegen europaweit.

Wie geht es jetzt weiter?

EU-Kommissar Frans Timmermans war erst nicht zu sprechen, dann schlug er eine Arbeitsgruppe vor. Das ist keine Lösung. Darin stimme ich mit vielen meiner europäischen Kollegen überein – wie sich bei unserem jüngsten Austausch Anfang der Woche in Straßburg gezeigt hat. Wir brauchen einen Vorschlag, wie Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor auch nach 2035 zugelassen werden können, wenn sie mit E-Fuels betrieben werden. Das wurde uns von der Kommission zugesagt, aber bisher kam nichts. Der Bundeskanzler hat recht: Die Kommission ist jetzt am Zug.

Wie könnte sichergestellt werden, dass ein Auto nur E-Fuels tanken kann?

Experten sehen verschiedene Möglichkeiten. Die Industrie signalisiert, dass es beispielsweise mit Hilfe von Sensoren gehen könnte. Das muss die Kommission klären. Uns geht es darum, eine dauerhafte Perspektive für E-Fuels zu haben, damit Investitionen in solche Anlagen getätigt werden. In vielen Bereichen gibt es keine klimafreundliche Alternative dazu – etwa im Flugverkehr, in der Schifffahrt und in der Pkw-Bestandsflotte. Wir sollten uns bei der Regulierung auf das notwendige Maß beschränken, und das Notwendige ist Klimaneutralität.

Ist die Autoindustrie technologieoffen? Sie konzentriert ihre Investitionen klar auf Elektroautos.

Das wird der Industrie immer so in den Mund gelegt. Aber gerade hat sich der europäische Herstellerverband ACEA, zu dem auch VW, Mercedes und BMW gehören, klar für Technologieoffenheit ausgesprochen. Wissen Sie, ich kann Ihnen nicht sagen, welche Technologie sich dauerhaft durchsetzt in Zukunft. Ich sehe aber, dass wir auch die soziale Frage im Blick haben müssen.

Wie meinen Sie das?

Wir müssen jedem ein Angebot für individuelle Mobilität machen können – auch jungen Menschen auf dem Land, die gerade in der Ausbildung sind. Im Augenblick kosten Elektroautos in Deutschland im Durchschnitt 53 000 Euro. Da wird es für junge Berufseinsteiger schwierig. Wir müssen dafür sorgen, dass die Preise durch möglichst viel Wettbewerb und ein breites Angebot verbraucherfreundlich werden. Die Transformation der Mobilität ist eine riesige Kraftanstrengung. Wir dürfen sie nicht durch unnötige Verbote klimaneutraler Technologien zum Stresstest für die Gesellschaft machen.

Deutsche Hersteller setzen immer mehr auf teure Autos. Wäre es politisch akzeptabel, wenn Kunden auf günstigere chinesische Marken umsteigen müssten?

Es ist wichtig, dass wir uns die technologische Fähigkeit erhalten, jeder und jedem ein bezahlbares Angebot zur Verfügung zu stellen. Wir reden ständig über Abhängigkeiten von anderen Staaten, auch von China. Wir müssen darauf achten, dass die Automobilindustrie weiter ein breites Angebot in allen Preissegmenten macht. Sie ist einer unserer wichtigsten Arbeitgeber. Wenn wir große Autofabriken zu kleinen machen, die nur noch wenige Luxusfahrzeuge herstellen, erzielt man vielleicht noch einen Gewinn. Aber man braucht nicht mehr so viele Beschäftigte, und das berührt auch die Zukunft der vielen mittelständischen Zulieferer.

Ist die deutsche Industrie angesichts hoher Energie-, Personal- und Rohstoffkosten gerade bei Elektroautos überhaupt konkurrenzfähig?

Sie ist leistungsfähig und nach wie vor technologieführend. Aber natürlich könnten Knappheiten, etwa bei Batterierohstoffen, den Markt verändern. Deshalb ist es so wichtig, weitere Technologien einzubeziehen. Es geht ja nicht nur um E-Fuels in Pkw. Mittlerweile fordern manche schon, es dürfe in Lkw keine wasserstoffgetriebene Brennstoffzelle eingesetzt werden. Wie soll das weitergehen? Zugleich bin ich als Verkehrsminister gefordert, neue Infrastrukturen aufzubauen – auch für den Wasserstoff, der nicht so einfach zu transportieren ist. Das ist ein enormer Kraftakt.

Wie übrigens auch bei der Ladeinfrastruktur, die nicht schnell genug wächst.

Wir sind mit dem Rollout schneller als alle anderen, auch wenn oft anderes behauptet wird. Aber ich habe die große Sorge, dass wir beim Netzausbau nicht Schritt halten. Die Elektromobilität wird exponentiell wachsen, aber der Netzausbau erfolgt nicht vorausschauend.

Damit zeigen Sie auf Robert Habeck, Ihren Kollegen im Wirtschaftsministerium, der für das Netz zuständig ist . . .

Wir zeigen nicht auf andere, sondern arbeiten unsere Aufgaben systematisch ab. Ladesäulen aufzustellen, ist verhältnismäßig einfach. Sie ans Netz anzuschließen, ist die größere Herausforderung. Die großen Fragen für den Hochlauf der Elektromobilität sind deshalb nicht in meinem Ressort zu suchen. Wir treiben das Schnellladenetz an den Autobahnen voran. Aber mittlerweile bekommen manche, die eine private Wallbox beantragen, ablehnende Bescheide. Das sind erste Anzeichen dafür, dass das Netz nicht rechtzeitig angepasst wurde.

Die Bundesnetzagentur plant zeitgesteuerte Abschaltungen beim Laden von Elektroautos. Was bedeutet das für die Akzeptanz der E-Mobilität?

Das würde die Menschen zu Recht verärgern. Ihnen wurde eine Energiewende versprochen mit jederzeit ausreichend Solar- und Windstrom. Laden sollte so einfach werden wie Tanken. Das ist das Versprechen – und nicht staatlich vorgegebene Ladezeiten.

Ihre Vorgänger von der CSU haben viele Investitionen nach Bayern gelenkt. Wie halten Sie es mit der regionalen Verteilung?

Baden-Württemberg steht dabei gut da. Wir haben hier von 1991 bis 2021 17,5 Milliarden Euro investiert, das sind 10,7 Prozent der Bundesmittel. Für 2023 planen wir weitere 503 Millionen für die Bundesstraßen in Baden-Württemberg, hinzu kommen noch einmal hundert Millionen Euro an Ausgaberesten. Damit steht Baden-Württemberg unter den Bundesländern auf Platz zwei.

Und Bayern auf Platz 1?

Das Geld bekommt bei mir nicht, wer zuerst anruft. Wir müssen stark priorisieren und dort investieren, wo es am dringendsten ist. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise wurde falsch priorisiert, wie die Sperrung der maroden Rahmedetalbrücke bei Lüdenscheid zeigt. Man muss aber auch sehen, dass Gelder nur dorthin fließen können, wo der Planungsstand baureif ist. Wer Planungskapazitäten ausbaut, kommt schneller zum Zuge, wenn Mittel frei werden.

Das Gespräch führten Klaus Köster und Matthias Schmidt von der Stuttgarter Zeitung. Das Interview erschien am 14.3.2023.