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Volker Wissing

Quelle: BMDV / Basti Wöhl

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) fordert eine harte Bestrafung von „Klimaklebern“. Auch über marode Brücken, Probleme bei der Bahn, fehlende Radwege zieht Wissing Bilanz.

rp: Herr Minister, „Klimakleber“ blockieren Flughäfen, viele Urlauber haben das Nachsehen. Speziell ihnen wird vorgeworfen, beim Klimaschutz zu blockieren. Was entgegnen Sie?

Das, was die Letzte Generation betreibt, ist krimineller Rechtsbruch. Das Ganze ist eine Zumutung für die gesamte Bevölkerung, vollkommen inakzeptabel und muss mit aller Härte bestraft werden. Die Menschen sind zutiefst frustriert, wenn sie sich auf den Urlaub vorbereitet haben, wenn sie gespart haben und dann durch eine sinnlose Aktion ihrer Urlaubsfreude beraubt werden. Ich kann das nur aufs Schärfste verurteilen.

Gibt es zu viele Sicherheitsmängel an Flughäfen?

Unsere Flughäfen haben alle Sicherheitskonzepte und selbstverständlich werden diese kontinuierlich überprüft. Wenn es zu solchen Straftaten kommt, dann wird natürlich auch ganz genau analysiert, gibt es Lücken im Sicherheitsnetz, die man schließen kann. Aber zu 100 Prozent verhindern kann man so etwas nie. Gleichwohl haben wir aus gutem Grund ein Strafgesetzbuch, das Kriminalität in dieser Form ahndet. Die Kriminellen müssen spüren, dass der Rechtsstaat sich konsequent gegen sie durchsetzt.

Wie fahren Sie in diesem Jahr in den Urlaub?

Wie jedes Jahr fahren wir mit dem Auto in die Provence.

Von Rheinland-Pfalz ist das nicht so weit. Insofern dürften Ihnen viele Staus erspart bleiben.

Ich stehe vermutlich in Frankreich im Stau. Hohe Verkehrsdichte zur Urlaubszeit kann man schwer vermeiden. Ich empfehle jedem, genügend Zeit einzuplanen und die Anreise schon als Teil des Urlaubs anzusehen.

Warum ist Deutschland weiter Stau-Land?

Staus auf Autobahnen sind nur zu einem Drittel auf baustellenbedingte Ursachen zurückzuführen. Gründe sind vor allem Kapazitätsüberschreitungen durch zu hohes Verkehrsaufkommen und Verkehrsunfälle. Aktuell gibt es deutschlandweit rund 400 Baustellen im Autobahnnetz. Um baustellenbedingte Staus zu minimieren, streben wir an, dass auch innerhalb der Baustelle die Anzahl der Fahrstreifen aufrecht erhalten bleibt. Wir tun also etwas, um die Situation zu entspannen.

Zugleich sind Tausende Brücken marode. Weshalb klappt es nicht mit mehr Tempo bei der Sanierung?

Die Brückenmodernisierung hat für uns eine sehr hohe Priorität. Nehmen Sie die Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid, die erst vor kurzem gesprengt worden ist. Ausschreibung und Vergabe für den Neubau sind sehr zügig verlaufen. Die Bietergemeinschaft, die den Zuschlag bekommen hat, hat zugesagt, dass Mitte 2026 schon wieder Autos über die Brücke rollen können.

Sie haben das Planungsbeschleunigungsgesetz durchgesetzt. Wann werden die Bürger konkret merken, dass es schneller vorangeht?

Das Gesetz bringt wesentliche Verbesserungen bei der Planung. Es führt zu mehr Rechtssicherheit, vermeidet langwierige Prozesse, beschleunigt die Beseitigung von Engpässen im Straßennetz und ermöglicht den zügigen Bau von Brückenersatzneubauten.

Zum Ärger der Grünen setzten Sie auch auf neue Autobahnen. Reicht ein modernisiertes Bestandsnetz nicht mehr?

Die Straße wird als Verkehrsträger weiter an Bedeutung zunehmen. Das sagen alle Prognosen. Wir rechnen zum Beispiel mit einem deutlichen Zuwachs an Güterverkehr auf der Straße von 54 Prozent. Das ist mit dem Bestandsnetz schwer zu schaffen. Die Gesamtausgaben für die Bundesfernstraßen werden wir daher in den kommenden Jahren anheben und ab 2025 dann ein Niveau von zwölf Milliarden Euro im Jahr erreichen, davon rund neun Milliarden Euro für Investitionen.

Kritiker sagen, Sie fördern Autobahnen zulasten des Klimaschutzes.

Dieser Vorwurf ist Unsinn. Als Verkehrsminister betreibe ich wachstumsorientierte Politik. Wer dagegen die Straße nicht mehr möchte, will auch kein Wachstum mehr. Das bedeutet Wohlstandsverluste und eine Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Nur wer wirtschaftlich erfolgreich ist, kann auch Klimaschutz finanzieren. Das Geld, das wir für die Transformation brauchen, fällt ja nicht vom Himmel.

Anstrengen muss sich auch die Bahn. Ist die Sanierung im Zeitplan?

Ja, wir liegen voll im Zeitplan.

Also kein Chaos bei der Bahn in diesem Sommer?

Unser Sanierungskonzept ist wie eine Operation an der Hauptschlagader des Körpers. Die wichtigsten Bahnstrecken werden schrittweise voll gesperrt für wenige Monate und grundlegend erneuert. Wir flicken nicht mehr wie bisher, sondern machen einmal alles nagelneu. Wenn wir die Hauptschlagader abklemmen, müssen wir vorher Bypässe legen. Die Bahn muss also vorher die Nebenstrecken ertüchtigen und einen aufwändigen Schienenersatzverkehr organisieren. Wir beginnen mit der Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt im Juli 2024, das ist die neuralgischste Strecke. Im nächsten Sommer wird es beim Bahnverkehr also noch einmal anstrengender werden. Ab Ende 2024 werden wir endlich Verbesserungen bei der Bahn spüren, danach wird es schrittweise weiter besser werden.

Die Bahn hatte einen Investitionsbedarf von 45 Milliarden Euro bis 2027 angemeldet, bekommt aber 18 Milliarden weniger. Wo soll nun der Rest herkommen?

Wir haben durch die CO2-bezogene Erhöhung der Lkw-Maut zusätzliche Haushaltseinnahmen, die ganz überwiegend der Bahn zufließen…

…aber da kritisieren Verkehrsexperten, dass nicht sämtliche Einnahmen an die Bahn gehen.

Dass ein Großteil der Maut-Einnahmen in die Schiene fließt und der Finanzierungskreislauf Straße durchbrochen wird, ist ein Paradigmenwechsel. Gleichzeitig haben wir in der Ampel vereinbart, dass wir im Haushaltsaufstellungsverfahren klären, wie weitere 15 Milliarden Euro 2025 und 2026 in die Bahn investiert werden können.

Was erwartet Flugreisende in dieser Feriensaison? Wieder Chaos an den Flughäfen?

Ich habe gerade selbst den Fachkräftemangel am Flughafen erlebt: Mein Flugzeug neulich ist ohne Koffer geflogen, weil es einfach keine Mitarbeiter am Flughafen gab, die das Gepäck einladen konnten. Viele Flüge sind deshalb auch häufig verspätet. Wir spüren jetzt ganz konkret den Fachkräftemangel. Es ist aber Aufgabe der Fluggesellschaften und nicht des Verkehrsministers, für genügend Bodenpersonal an den Flughäfen zu sorgen.

Einen Verkehrsträger haben wir noch. Fahren Sie Fahrrad?

Ja. Ich habe mir gerade ein neues E-Bike bestellt.

Aber beim Radwegebau haben Sie gespart: Statt 750 Millionen wie 2022 sollen 2024 nur noch 400 Millionen fließen…

Einspruch. Für den Radverkehr sind in erster Linie Länder und Kommunen zuständig. Der Bund unterstützt, wo er kann. In dieser Legislatur stehen insgesamt 2,9 Milliarden Euro für die Radverkehrsförderung bereit. Davon entfallen 425 Millionen Euro auf das Haushaltsjahr 2024. Das entspricht der mittelfristigen Finanzplanung. Im Rahmen des Klimaschutzsofortprogramms wurden in der Vergangenheit zusätzliche Mittel für die Radverkehrsförderung bereitgestellt, die allerdings nur in den Jahren 2022 und 2023 zur Verfügung standen.

Also sind die Länder am Zuge?

Ich sage den Ländern und Kommunen: Bitte nehmt das Geld und investiert es. Ich empfinde es als großen Mangel an Sicherheit, wenn Lücken bei Radwegen nicht geschlossen werden. Wir können mit wenig Geld einen Radweg von vielen Kilometern vom Stückwerk zur wertvollen Infrastruktur machen. Nur wenn 2024 die 260 Millionen Euro auch abgerufen werden, habe ich überhaupt eine Grundlage, um mich beim Finanzminister für 2025 für mehr Geld einzusetzen.

Die Ampel-Koalition hat ein miserables halbes Jahr hinter sich. Was raten Sie allen Beteiligten, damit es wieder besser wird?

Ich rate allen, hinter den Dingen, die man gemeinsam vereinbart hat, auch zu stehen und sie selbstbewusst gegen Kritik zu verteidigen. Außerdem müssen wir bei der Verabschiedung von Gesetzen wieder zu dem Tempo zurück, das wir im vergangenen Jahr nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs vorgelegt haben.

Dieser Text wurde am 15.07.2023 bei der Rheinischen Post veröffentlicht.