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Volker Wissing

Quelle: BMDV / Basti Wöhl

Im Interview mit dem Reutlinger General-Anzeiger erklärt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), warum er neue Straßen bauen und wie er trotz der Zunahme des Verkehrs die vereinbarten Klimaziele erreichen will. Wissing wartet mit einer neuen Studie seines Ministeriums auf. Danach wird der Güterverkehr auf der Straße bis zum Jahr 2051 um 34 Prozent zunehmen.

Reutlinger General-Anzeiger: Herr Wissing, Sie sind von Stuttgart mit dem Auto angereist. Wie ist es aus Sicht des Verkehrsministers um die Infrastruktur bestellt?

Volker Wissing:

Die Infrastruktur in Deutschland ist in der Vergangenheit vernachlässigt worden und muss dringend auf Vordermann gebracht werden. Wir haben sehr viel Engpässe, insgesamt 144, die schon heute unseren verkehrlichen Anforderungen nicht genügen. In den nächsten Jahren wird insbesondere der Güterverkehr zunehmen. Nach einer aktuellen Untersuchung wird der Güterverkehr auf der Straße bis zum Jahr 2051 um 34 Prozent zunehmen. Das bedeutet, wenn die Straße nicht ausgebaut wird, hat das massive Folgen für unser Land. Deshalb brauchen wir überall in Deutschland eine Beseitigung der Engpässe durch notwendige Ausbaumaßnahmen.

Notwendige Ausbaumaßnahmen bedeutet auch den Neubau von Autobahnen?

Die Grünen sind skeptisch, wenn es um den Bau von Straßen geht. Doch die Straße ist nun mal der wichtigste Verkehrsträger. Ich will noch mal die Zahlen nennen. Das Güterverkehrsaufkommen lag im Jahr 2019 bei 4,367 Milliarden Tonnen. Im Jahr 2051 werden wir 5,7 Milliarden Tonnen haben. Das ist ein Zuwachs von 34 Prozent auf der Straße. Wie soll das transportiert werden, lautet die Frage.

Kann man das nicht auf der Schiene transportieren?

Das Güterverkehrsaufkommen auf der Schiene liegt aktuell bei 370 Millionen Tonnen und wir rechnen mit einem Zuwachs von 14 Prozent bis zum Jahr 2051. Die Kapazität der Schiene reicht nicht, um das zusätzliche Güteraufkommen der Straße dorthin zu verlagern.

Müssen Sie sich also von Ihren Klimazielen verabschieden, wenn der Güterverkehr derart zunimmt?

Nein, der Gütertransport muss künftig klimaneutral erfolgen. Es ist unser Ziel, dass die Bundesrepublik bis 2045 klimaneutral ist. Deshalb sehe ich auch keinen Konflikt zwischen Straßenbau und Klimaschutz, weil man die Straße klimaneutral nutzen kann.

Das hängt dann aber davon ab, mit welchem Antrieb die Lastwagen unterwegs sind.

Es gibt mehrere technische Optionen: Elektrolastwagen, Wasserstofflastwagen oder Lastwagen mit synthetischen Kraftstoffen. Was nicht stattfinden wird, ist die Zulassung von Lkw mit fossilen Kraftstoffen nach 2035.

Werden denn auch die Lkw-Parkplätze ausgebaut?

Ich will durch digitales Kolonnenparken, die Nutzbarkeit erhöhen. Dann können auf der gleichen Fläche doppelt so viele Lkw parken. Das will ich flächendeckend ausbauen. Dafür müssen die Fahrer an einem Automaten angeben, wie lange sie parken wollen. Dann bekommen sie einen Platz zugewiesen.
So ist gesichert, dass der Lastwagen vor einem weggefahren ist, wenn die eigene Standzeit abgelaufen ist. Das ist besser und günstiger, als neue Parkplätze zu bauen. Zudem wird keine neue Fläche versiegelt.

Noch sind aber viele Laster mit Diesel-Antrieb unterwegs. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass die Speditionen schnell umrüsten?

Ich werde eine CO2-bezogene Lkw-Maut einführen. Das ist ein Anreiz, um auf klimaneutrale Antriebe umzusteigen. Das bringt gerade im Güterverkehr eine enorme CO2-Einsparung. Zudem planen wir ein Förderprogramm für mittelständische Unternehmen, die Unterstützung beim Umstieg brauchen. Die Industrie bietet immer mehr Fahrzeuge an mit solch modernen Antrieben.

Und wie sieht es mit privaten Pkws aus?

Da ist der Umstieg etwas schwieriger. Wir können nicht von allen Bürgerinnen und Bürgern verlangen, dass sie sich ein neues Fahrzeug kaufen. EAutos kosten aktuell im Durchschnitt 53 000 Euro. Das kann sich nicht jeder leisten. Im Augenblick ist jeder dritte Neuwagen mit einem vollelektrischen Antrieb ausgestattet. Der Umstieg ist im Gange. Zudem müssen wir eine Antwort finden, wie wir mit der Bestandsflotte umgehen. Dafür wollen wir synthetische Kraftstoffe nutzen, die dem normalen Treibstoff beigemischt werden. Je nach Höhe der Beimischung, können wir damit deutlich CO2-Emissionen senken.

Gehen die Grünen da mit?

Darüber müssen wir sprechen. Aber natürlich wäre es wichtig, dass der Strom für die E-Autos möglichst klimaneutral erzeugt wird. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass eine Expertenkommission wissenschaftlich prüfen sollte, ob man die Kernkraftwerke nicht länger laufen lässt. Denn Kohleverstromung ist für den Klimaschutz keine gute Lösung.

Die Grünen lehnen ihren Wunsch nach schnelleren Planungsverfahren im Verkehrsbereich ab. Im Koalitionsausschuss gab es keine Einigung. Wie geht es nun weiter?

Zunächst einmal müssen wir weitere Gespräche führen und von der falschen Vorstellung wegkommen, dass die ganze Republik zuasphaltiert werden soll. Darum geht es nicht. Mir geht es darum, die Infrastruktur an die vorhandenen Erfordernisse anzupassen, ohne Engpässe zu produzieren. Außerdem diskutieren wir in der Regierungskoalition nicht, ob wir neue Straßen bauen, sondern wie schnell wir sie bauen. Wir haben bei den Flüssiggas-Terminals gesehen, wie schnell es gehen kann. Dieses Deutschlandtempo ist der Maßstab, den wir auch im Verkehrsbereich brauchen.

Aber die Grünen wollen keine neuen Autobahnen, weil sie dann mehr Verkehr fürchten.

Straßen verursachen keinen Verkehr. Wir Menschen mit unseren Bedürfnissen sind es, die Mobilität einfordern. Außerdem geht es nicht nur um die Beschleunigung beim Straßenbau. Ich will bei allen Verkehrsträgern schneller bauen – bei Radwegen genauso wie bei Bahnverbindungen.

Aber Sie können die Straßen in Deutschland auch leerer machen, indem Sie mehr Privatleute dazu bringen, auf die Bahn umzusteigen. Dafür müsste das Angebot bei der Bahn aber auch attraktiver werden.

Genau daran arbeite ich. Das 9-Euro-Ticket war genauso wie sein Nachfolger das Deutschlandticket meine Idee, die wird nun endlich umgesetzt und kommt zum 1. Mai als digitales Ticket. Es ist die größte Reform des ÖPNV. Sie ist dringend notwendig. Allein durch das 9-Euro-Ticket hatten wir 20 Prozent mehr Fahrgäste, ohne einen Meter mehr Schiene zu bauen.

Aber, was bringt das Ticket Menschen, die im ländlichen Raum wohnen und auf das Auto angewiesen sind?

Auch sie werden profitieren. Denn, wer auf dem Dorf wohnt und auf ein Auto angewiesen ist, muss ja nicht mit dem Wagen die gesamte Strecke bis in die Innenstadt fahren, um einzukaufen oder zum Arzt zu gehen. Man kann unterwegs umsteigen auf den ÖPNV. Mit dem Deutschlandticket wird dieser Umstieg erleichtert. Dafür braucht es aber auch Fahrradparkhäuser und Parkplätze an Bahnhöfen mit Lademöglichkeiten für EAutos. Das geht nur mit einer besseren Digitalisierung. Die unterschiedlichen Verkehrsträger müssen vernetzt werden. Doch sehr viele der Verkehrsunternehmen im ÖPNV können Fahrkarten nur visuell kontrollieren. Das heißt, sie müssen vom Schaffner geprüft werden. Das kann so nicht bleiben. Wir brauchen bei der Fahrkartenkontrolle digitale Auslesegeräte. Deshalb der Kompromiss: Bis zum 31. Dezember müssen alle Verkehrsunternehmen digitale Auslesegeräte einführen. Bis dahin müssen auch Fahrgäste, die das Deutschlandticket als Chipkarte haben, zusätzlich einen Gültigkeitsausweis mitführen.

Und wie ist es mit dem Fernverkehr?

Natürlich müssen wir das Schienennetz ausbauen. Doch damit allein erreicht man nicht, dass schnell mehr Güter auf der Bahn transportiert werden. Denn der Hauptgüterverkehr geht von den Häfen in Norddeutschland in den süddeutschen Raum. Diese Züge müssen durch die Korridore des Kernnetzes. Diese Korridore sind so etwas wie die Hauptschlagadern im Körper. Mit der Deutschen Bahn habe ich ein Modernisierungskonzept dafür erarbeitet. Einer dieser Engpässe liegt zwischen Frankfurt und Mannheim – die Riedbahn. Sie soll binnen fünf Monaten saniert werden und im Dezember 2024 in Betrieb gehen. Das wird uns sehr helfen. Wir haben acht solcher Korridore und gehen zuerst die an, die am meisten belastet sind. Trotzdem muss man sagen, dass dies alles nicht den Ausbau der Straße ersetzt.

Sie haben gerade dargestellt, wie wichtig die Digitalisierung für den ÖPNV ist. Doch der Ausbau des schnellen Internets stockt. Es gibt viele Funklöcher. Wie wollen Sie das beschleunigen?

Wir wollen bis 2030 eine Vollversorgung in Deutschland mit Glasfasernetz und dem schnellen 5-G-Netz. Dafür haben wir eine Gigabit-Strategie aufgelegt, mit der wir in den kommenden Jahren 50 Milliarden Euro private Investitionen mobilisieren wollen. Gleichzeitig stellen wir in dieser Legislaturperiode über 12 Milliarden Euro an Fördermitteln zur Verfügung, um Glasfaser in bislang schlecht versorgten Gegenden auszurollen.

Sie sind nun über ein Jahr Mitglied der Ampel-Regierung. Wie hat diese Zeit ihr Bild von den Grünen und der SPD verändert?

Ich habe bereits in Rheinland Pfalz fünf Jahre mit SPD und Grünen regiert. Deshalb habe ich nichts erlebt, was ich nicht erwartet hätte.

Das Interview führte Davor Cvrlje.