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Michael Theurer

Quelle: Bundesregierung/Steffen Kugler

Nadine Lindner, Deutschlandfunk: Im Hauptstadtstudio ist Nadine Lindner und ich begrüße ich Michael Theurer, Staatssekretär im FDP-geführten Verkehrsministerium und Bundesbeauftragter für Schienenverkehr der Bundesregierung.

Michael Theurer:

Guten Tag, Frau Lindner.

Herr Theurer, lassen Sie uns mal ein bisschen auf Ihre Jobbeschreibung schauen. In Ihrer Beschreibung bzw. in der Vorstellung auf der Seite des Verkehrsministeriums steht, dass Sie als Schnittstelle fungieren sollen, innerhalb und außerhalb des Kabinetts, sich für die Belange des Schienenverkehrs einsetzen sollen. Wenn man auf den Zustand der Deutschen Bahn schaut, dann ahnt man schon, dass da viel Gesprächsbedarf ist. Aber vielleicht auch für die Hörerinnen und Hörer zur besseren Orientierung, können Sie in zwei Sätzen mal beschreiben, was konkret der Beauftragte für den Schienenverkehr so die ganze Zeit macht?

Im Grunde genommen ist der Schienenverkehrsbeauftragte Kümmerer und Kummerkasten für eine ganze Branche. Die Logistik hat in Deutschland insgesamt 3,35 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die sind natürlich nicht alle in der Schiene. Und bei der Schiene geht es nicht nur um die Deutsche Bahn und bundeseigenes Schienennetz mit 33.500 km, sondern eben auch um nicht bundeseigene Schienennetze. Es geht vor allen Dingen dabei auch um die Bahn Bauindustrie und um die Bahnindustrie, also um die Fahrzeughersteller. Und da sitzen ja gerade in Deutschland auch Weltmarktführer. Und es kommt dazu, dass viele Abgeordnete aus dem Bundestag und noch mehr Bürgerinnen und Bürger sich auch an mich wenden, gerade, weil wir ja in der Schiene doch einige Herausforderungen haben, insbesondere, was Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Deutschen Bahn angeht.

Auf die Stichworte kommen wir natürlich gleich noch mal, denn das brennt ja jedem Bahnkunden, jeder Bahnkundin unter den Fingernägeln. Wir zeichnen dieses Interview der Woche auf am Freitag, den 15. September, am Nachmittag. Ein interessanter Tag für den Bahnverkehr in Deutschland, denn, Herr Theurer, Sie sind gerade in Frankfurt. Das ist kein Zufall, denn da hat heute der Schienengipfel stattgefunden. Ich habe das eben angedeutet. Es ist eine interessante Phase für die Bahn. Man sieht auf der einen Seite einen Berg von Problemen. Sie haben das Stichwort Pünktlichkeit schon genannt. Man kann dieses Problem auch in Zahlen ausdrücken. 63 Prozent der Fernzüge waren nur pünktlich. Im Regionalverkehr sieht es ein bisschen besser aus. Da liegt man bei 91 Prozent. Aber auch beim Güterverkehr, 71, 2 Prozent im ersten Halbjahr 2023 haben ihr Ziel nur pünktlich erreicht. Es gibt weitere Ärgernisse, die ja eigentlich jeder Bahnkunde aus seinem Alltag kennt. Zugausfälle, überfüllte Züge, gesperrte Toiletten, Gleiswechsel, die quasi aus dem Nichts kommen. Umgekehrte Wagenreihungen sind dann vielleicht noch die kleineren Ärgernisse.

Wir wissen – und das ist heute ja beim Schienengipfel in Frankfurt auch noch mal deutlich geworden – die rühren zu einem sehr, sehr großen Anteil aus der Infrastruktur, die jahrelang auf Verschleiß gefahren wurde, die teilweise marode ist und die dringend saniert werden muss. Und genau das ist mit der geplanten Hochleistungskorridorsanierung jetzt vorgesehen, eine Generalsanierung von 40 Korridoren in Deutschland.

Ja, es ist ja ein Ruck, der da durch die Bahn-Welt gehen soll, der heute angekündigt wurde. Das sind zwei Zahlen, die da sehr zentral im Raum stehen. Das sind zum einen 40 Milliarden Euro, die zusätzlich für das Netz ausgegeben werden sollen. Und auf der anderen Seite sieht man auch, wohin das fließen soll, nämlich in 40 Korridore. Und das ist eins der wichtigsten Stichworte, meiner Ansicht nach, mit denen wir es bahnpolitisch in den kommenden Jahren zu tun haben werden. Bestimmte Streckenabschnitte werden voll gesperrt, kein einziger Zug kann über bestimmte Passagen fahren. Das klingt ja eigentlich erst mal nach einer Horrorvorstellung für Kunden, aber auch für den Güterverkehr.

Ja, in der Tat. Da kommt eine knallharte Phase auf die Kundinnen und Kunden und Fahrgäste zu, wenn Korridore gesperrt werden. Deshalb drängen wir darauf, dass Umleitungen ausgewiesen werden, dass ein Schienenersatzverkehr organisiert wird, der auch tatsächlich funktioniert. Aber noch mal zurück zu der Grundidee. Es fallen heute an wichtigen Strecken jeden Tag, wie an der Riedbahn, das ist immerhin die Strecke zwischen Mannheim und Frankfurt, eine Strecke, auf der jeder siebte Zug am Tag drüber läuft, fällt jeden Tag unvorhergesehen was aus. Mal ist es das Signal, mal ist es ein Stellwerk, das nicht richtig funktioniert. Die Oberleitung oder Schäden am Gleisbau. Und das bedeutet, dass die Teams der Bahn immer mehr Aufwand erbringen müssen, um solche Schäden kurzfristig zu beseitigen. Und das ist eben nicht nur an der Strecke so, sondern an vielen. Und deshalb ist es eine Vorwärtsstrategie, zu der sich eben mein Minister Dr. Volker Wissing und der Bahnchef Dr. Lutz entschieden haben, die Korridorsanierung. Und in der Tat ist es eine Operation am offenen Herzen.

An der Riedbahn kann man das ja eigentlich beispielhaft durchdeklinieren. Das ist ein Streckenabschnitt, gute 100 km zwischen Frankfurt und Mannheim. 20 Prozent des Fernverkehrs laufen über diese Strecke und den wird man komplett schließen. Das heißt, von Juli 2024 bis Dezember 2024 wird dort kein einziger Zug fahren. Es sind sonst eigentlich 300 Züge täglich, die darüber gehen. Und dann möchte man eigentlich alles erneuern. Also, das heißt, 140 km Oberleitung, 1.200 Anlagen für Leit- und Sicherungstechnik, über 150 Weichen. Die Zahl, was das kosten wird, ist heute auch genannt worden. 900 Millionen Euro. Warum hat man denn eigentlich die Riedbahn als erstes, ja, ich möchte nicht sagen, Versuchsobjekt ausgewählt, aber warum hat man sich ausgerechnet für diesen Streckenabschnitt entschieden? Und können Sie denn den Anwohnerinnen und Anwohnern wirklich zusichern, dass es bei den fünfeinhalb Monaten Bauzeit bleibt, die man da im Blick hat?

Das ist das ehrgeizige Ziel, denn das ist ja schon eine lange Zeit, die mit vielen Einschränkungen verbunden ist. Frau Lindner, Sie haben es erwähnt, 300 Züge, davon viele Güterzüge. Wenn man sich klarmacht, ein Güterzug 2.800 Tonnen Nutzlast, 4.000 Tonnen Gesamtlast, da kommt ja dann schnell auch eine Million Tonnen zusammen bei 300 Zügen.
Das wären 20.000 Lkw zusätzlich. Also, das alles muss umgeleitet werden. Der Fernverkehr muss weiträumig umgeleitet werden. Der Nahverkehr muss dann umsteigen – da geht es ja nicht mit einer Umleitung – auf den Bus, auf den Schienenersatzverkehr. Also, da muss der Zeitplan eingehalten werden. Warum gerade die Riedbahn als Hauptschlagader zuerst? Na ja, es bringt ja nichts, wenn man Durchblutungsstörungen hat, die an der Hauptschlagader liegen, weil die hauptsächlich ausfällt, dann vielleicht am kleinen Zeh, wie es Volker Wissing auch formuliert hat, zu operieren. Sondern dann muss man die wichtigsten Dinge zuerst machen.

Als Bahnkundin, Bahnkunde kann man sich das ja anschauen. Sie haben es ja auf Ihrer Homepage, auf der Homepage des Verkehrsministeriums auch veröffentlicht. Die Übersicht der Hochleistungskorridore, insgesamt 40 Stück bis zum Jahr 2030. Der nächste beginnt dann Ende 2024, betrifft dann Westdeutschland, die Strecke Emmerich – Oberhausen. 2025 dann die Strecke Hamburg – Berlin. Man erhofft sich ja acht bis zehn Jahre Baufreiheit. Wenn einmal diese Operation gelungen ist, hofft man dann ja, dass diese Strecken dann auch erst mal länger sozusagen ohne größere Baustellen bleiben. Kann man dieses Versprechen einlösen?

Da verlassen wir uns zum einen auf die Fachleute, und zwar nicht nur auf die der Deutschen Bahn, sondern eben auch andere Bahnen. Wir haben das ja auch besprochen mit den Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz von der SBB, aber auch mit Österreich, der Österreichischen Bundesbahn, die das ebenfalls so sehen. Und, ja, ich bin mir sicher, dass das der vernünftige Weg ist, weil ja unter dem rollenden Rad, also mit Fahrbetrieb, bisher diese Sanierungen nicht funktioniert haben. Und es besteht auch eine Chance, dass gleich die digitale Steuerungstechnik mitausgerollt werden kann. Das muss sowieso passieren. Das heißt also, die Stecke erhält auch eine Modernisierung. Es ist eine kürzere Zugfolge möglich und damit auch eine höhere Kapazität. Also, ja, wir gehen davon aus, dass dann eben die nächsten zehn Jahre das überwiegend baufrei ist. Das setzt aber auch voraus, dass die permanente Instandsetzung in Zukunft besser funktioniert als in der Vergangenheit. Und das ist auch eine Empfehlung der Beschleunigungskommission Schiene, die ich geleitet habe, die wir ja mit einer neuen Finanzierungsarchitektur für die Deutsche Bahn auch umsetzen. Wir haben ja hier auch Gesetzesinitiativen im Bundestag wie die Novellierung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes und auch das Planungsgenehmigungsbeschleunigungsgesetz.

Lassen Sie uns noch mal ein bisschen schauen auf diese Korridore. Das sind ja Hauruck-Verfahren, die man dort jetzt durchführt, die ja teilweise auch alternativlos erscheinen, weil das Netz eben in diesem maroden Zustand ist. Aber man sieht ja auch, dass es eine Verengung ist, was mit diesen Hochleistungskorridoren geschieht. Es gibt über 33.000 Schienenkilometer in Deutschland, aber nur 4.200 km werden dann am Ende als Hochleistungsnetz nach dieser Korridorsanierung ertüchtigt. Das sind etwa 15 Prozent des deutschen Schienennetzes. Da fragt man sich ja unwillkürlich: Was ist denn eigentlich mit den anderen 85 Prozent? Was passiert dort? Und die zweite Frage ist: Wir bewegen uns dann ja immer nur im bestehenden Schienennetz. Was ist denn eigentlich mit dem Ausbau? Was ist mit dem Neubau? Die Zahlen sind ja eigentlich ein Schneckentempo. Wenn man sich anschaut, in den Jahren 2019 bis 2021 sind gerade mal acht Schienenkilometer neu dazugekommen. 2022 waren es dann immerhin 70 km, was aber nur 2,2 Promille des gesamten Schienennetzes sind. Wo sind denn eigentlich die Neubauambitionen und mit wie vielen neuen Schienenkilometern kann man rechnen 2023, 2024, 2025?

Zunächst ist die Zahl 15 Prozent richtig, aber auf diesen 15 Prozent des Gesamtnetzes werden 40 Prozent des Güterverkehrs abgewickelt und ein ganz großer Anteil auch des Personenfernverkehrs. Wir gehen davon aus, dass auf den 9.000 km des insgesamt 33.500 km langen bundeseigenen Schienennetzes etwa 90 Prozent der Güterverkehre und des Personenfernverkehrs abgewickelt wird. Aber wichtig an der Stelle ist es mir zu betonen, dass neben der Hochleistungskorridorsanierung auch andere Maßnahmen notwendig sind, um Kapazität zu sichern und beschleunigt zu erweitern. Das sind kleine und mittlere Maßnahmen, etwa Wechselgleise, Überleitstellen, auch streckenweise Zweigleisigkeit, Überholgleise. Die sogenannten 740-Meter-Gleise, damit Güterzüge überholt werden können. Das alles hilft also, das Netz resilienter zu machen und auch leistungsfähiger. Und Sie fragen zu Recht nach den Neubaustrecken. Die sind ja politisch manchmal auch stark umstritten und umkämpft. Ich war diese Woche ja bereits in Rosenheim, also in Oberbayern. Da geht es um den Brennerzulauf und da gibt es massive Widerstände. Denn Fakt ist ja, am Sonntag fordern alle: Güter auf die Schiene. Aber, wenn es dann darum geht, im Rheintal oder beim Brennerzulauf auch mal eine neue Güterverkehrsstrecke zu bauen oder eine Strecke auszubauen, dann gibt es auch Widerstände. Und da sind etwa 750 km in Deutschland geplant, die im vordringlichen Bedarf enthalten sind. Und deshalb sieht ja unser Plan, unser Finanzierungsplan, auch vor, dass die dafür zur Verfügung stehenden Mittel schrittweise nach oben erhöht werden. Die liegen derzeit bei rund zwei Milliarden Euro im Jahr. Und bei einem Planungsvorrat von ca. 88 Milliarden kann sich ja jeder ausrechnen, wie lange das dauern würde, um das abzufinanzieren. Also, da wollen wir beschleunigen. Und dafür brauchen wir einen Hochlauf der Mittel.

Sie hören das Interview der Woche mit Michael Theurer, Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr. Herr Theurer, es ist ja eine zentrale Frage, das Wort Pünktlichkeit ist ja eben schon gefallen. Das, was sich jeder fragt, ist: Wann kann man sich auf die Bahn denn endlich wieder verlassen? Vielleicht etwas konkreter gefasst. Die Bahn hat sich selbst ein Pünktlichkeitsziel von 70 Prozent gegeben. Wann wird das denn endlich erreicht?

Na ja, 70 Prozent ist ja auch nicht sonderlich hoch in Deutschland. Es gab Zeiten, in denen das erreicht wurde. Und es gibt Strecken, auf denen die Pünktlichkeit deutlich höher liegt, etwa auf der Strecke München, Nürnberg, Erfurt, Berlin. Die ist neu ausgebaut. Und da sieht man, dass eben, wenn die Infrastruktur funktioniert und auch die Fahrzeuge entsprechend modern sind und gut gewartet werden können, dass dann eben die Türen nicht kaputtgehen und auch die Klimaanlage funktioniert. Und Sie haben gefragt, wann das der Fall ist. Also, wir streben an, dass mit dem Abschluss der Korridorsanierung 2030 und auch dem Fahrzeugprogramm der Deutschen Bahn mit der Anschaffung zusätzlicher neuer ICE-Fahrzeuge und anderer Fahrzeuge, also bis 2030 Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit wirklich deutlich nach oben gehen. Und da würde ich mich mit 70 Prozent im Fernverkehr auch nicht zufriedengeben. Als Schienenverkehrsbeauftragter möchte ich mehr Pünktlichkeit. Im Nahverkehr sind wir bei über 90 Prozent. Das muss das Ziel sein.

Also, das heißt, Bahnkunden, Bahnkundinnen brauchen da noch ein bisschen Geduld. Lassen Sie uns noch mal auf ein anderes Instrument schauen, was bei der Deutschen Bahn nun umgesetzt werden soll, was ein Ziel aus dem Koalitionsvertrag ist. Stichwort ist die gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft. Das hört sich klangvoll an. Dahinter steht der Plan, dass zum 1. Januar 2024 die DB Station & Service, die für die Bahnhöfe zuständig sind, und die DB Netz, die für die Schienen zuständig sind, verschmolzen werden sollen zu einer neuen Infrastrukturgesellschaft, und zwar innerhalb des Konzerns Deutsche Bahn AG.
Das klingt jetzt erst mal alles sehr salbungsvoll, gemeinwohlorientiert, aber was genau wird sich denn für die Kundinnen und Kunden da konkret ändern oder vielleicht präziser gefragt, dann auch verbessern mit dieser neuen Konstruktion?

Also, Bahnhöfe sind zum Teil in einem schlechten Zustand in Deutschland. Das liegt daran, dass bei der Bahnreform 1994 versäumt wurde, eine entsprechende Finanzierung für Bahnhöfe sicherzustellen. Die Stationsentgelte, die da erhoben werden, auch erhoben werden können, sind zu niedrig, um eben die Bahnhöfe so herzurichten, dass sie wirklich attraktive Entrees in das Verkehrssystem sind. Ich bin deshalb froh, dass es gelungen ist, im Kabinett einen Gesetzesvorschlag zu beschließen, der über das Bundesschienenwegeausbaugesetz die Möglichkeit schafft, dass Bundesmittel künftig auch in Bahnhöfe, in Empfangshallen dann auch fließen können. Denn viele Bahnhöfe jedenfalls sind unsere Sorgenkinder. Und das wird der Fahrgast, die Bürgerin und der Bürger, der Zug fährt, auf jeden Fall dann spüren. Bei der Fusion, also bei der Verschmelzung von Station & Service und Netz geht es darum, dass wir Synergien schaffen, wie das so in der Betriebswirtschaftslehre heißt. Und wir wollen die bisher existierenden 190 Finanzierungstöpfe, die oft nicht zusammenpassen, die wollen wir zusammenführen in eine neue Finanzierungsarchitektur, nämlich in zwei Fonds nach Schweizer Vorbild. Und davon versprechen wir uns mehr Flexibilität und einen besseren, effizienteren Einsatz der knappen Mittel, die der Bund in die Schiene investiert.

Bleiben wir noch mal ein bisschen beim Geld. Stichwort ist Deutschlandticket. 49-Euro-Ticket, so wird es auch genannt. Zumindest der Einstiegspreis liegt dabei. Bundesweit kann der Nah- und Regionalverkehr genutzt werden. Und im Moment sieht man ja ein Schauspiel, was man schon mal gesehen hat. Bund und Länder streiten sich über die Weiterfinanzierung des Deutschlandtickets. Die Situation ist so, dass für dieses und nächstes Jahr die Grundfinanzierung gesichert ist. Drei Milliarden Euro gibt es da, hälftig aufgeteilt zwischen Bund und Ländern. Aber jetzt zerstreitet man sich über die sogenannte Nachschusspflicht, also die Frage: Wer gibt eigentlich noch was dazu, wenn die Kosten höher als diese drei Milliarden Euro liegen? Die Länder haben gesagt, ja, wir würden gerne bei der hälftigen Aufteilung bleiben. Der Bund verweigert sich dem. Warum macht eigentlich der Bund da nicht mit? Und gefährdet man damit nicht das Vertrauen in das Bestehen des Tickets, wenn jetzt Herbst für Herbst dieses gleiche Schauspiel wieder aufgeführt wird?

Also, das Deutschlandticket ist ein riesiger Erfolg, den der Bund angestoßen hat in einem Bereich, nämlich dem Nahverkehr, der nach Artikel 106 Grundgesetz in der Verantwortung der Länder liegt. Das ist jetzt auch kein Abschieben von Verantwortung, denn in anderen Bereichen ist eben der Bund zuständig, etwa bei der Verteidigung. Da kommt man ja auch nicht auf die Idee zu sagen, müssen die Länder mehr Aufgaben übernehmen.
Und der Bund hat ja den Schienenverkehr im Nahverkehr auf die Länder delegiert, dabei aber auch Mittel mitgegeben, die sogenannten Regionalisierungsmittel. Die haben wir jetzt erst erhöht von 9,6 Milliarden auf 10,6 Milliarden jährlich. Wir haben auch die Dynamisierung, also die jährliche Erhöhung fast verdoppelt von 1,8 auf 3 Prozent. Und das führt dazu, dass bis 2030 etwa 110 Milliarden Euro an die Länder fließen, 17,3 Milliarden Euro mehr als noch vor einem Jahr geplant. Und damit helfen wir den Ländern. Und obendrauf hat der Bund dann gesagt, wenn ihr endlich ein Deutschlandticket einführt, das Verkehrsverbünde überwindet, das einfach und leicht zu handhaben ist, das vor allen Dingen dann auch digital gehandhabt wird, wie in vielen anderen Ländern Europas, dann gibt es noch die eineinhalb Milliarden Euro zusätzlich. Und dass jetzt die Länder, bevor eigentlich der Erfolg des Deutschlandtickets so richtig geprüft werden kann und bevor eigentlich auch eine wirkliche Abrechnung vorliegt, schon wieder eine Mittelerhöhung fordern, halte ich jedenfalls für kontraproduktiv. Also, meine Maxime ist, erst mal den Verkauf der Tickets maximieren, dann auch das Angebot optimieren. Da gibt es nämlich auch noch Wirtschaftlichkeitsreserven. Und dann, klar, wird man in 2024 sprechen müssen, haben die Mittel gereicht oder nicht. Jetzt haben wir elf Millionen verkaufte Tickets. Wir hoffen, dass wir 16 Millionen verkaufen. Wenn es gelingen würde, 20 Millionen Tickets zu verkaufen, dann gäbe es auch kein Finanzierungsproblem. Also, wir sollten uns jetzt darauf konzentrieren, einfach Länder und Bund und die Kommunen gemeinsam, möglichst viele Tickets zu verkaufen. Das ist ja die Idee, die hinter dem Deutschlandticket steht.

Aber wenn man jetzt in den Haushaltsentwurf 2024 fürs Bundesverkehrsministerium reinschaut, sieht man knapp 38 Milliarden Euro, die dort angesetzt sind. Und da soll sich dann kein Geld für eine mögliche Nachschussorganisation beim Deutschlandticket finden. Weil, Verkehrsverbände verweisen ja zurecht darauf, dass manche Pendlerinnen und Pendler jetzt natürlich erstmal abwarten, ob das Deutschlandticket a) weiter besteht und dann auch b) zum Preis von 49 Euro weiter besteht. Also, letztendlich schaden Sie ja mit dieser Finanzierungsdiskussion dann auch der Zuverlässigkeit dieses Tickets?

Also, zunächst einmal meldet die DB-Region ein Zuwachs von 25 Prozent bei den Fahrgästen. Also, gerade im Nahverkehr haben wir gute Zahlen, haben zum Teil die Vor-Corona-Zahlen erreicht und überflügelt. Die Menschen wollen in Deutschland Bahn fahren. Es liegt auch daran, dass es für die Menschen im Stadtumlandbereich der großen Städte viel günstiger geworden ist, etwa ein Kunde aus Waghäusel in der Rheinschiene, der in meinen Wahlkreis Karlsruhe einpendelt, halt statt etwas über 100 Euro jetzt nur noch 49 Euro hat – also ein günstiges Angebot. Wenn jetzt auf die 39 Milliarden verwiesen wird, die wir zusätzlich in die Infrastruktur bringen, zu den 42 Milliarden, die da eh schon vorgesehen waren, dann ist da kein Spielraum für weitere Finanzierung des Bundes für Aufgaben der Länder, weil die Kritik ja besteht, dass der Bund seine eigenen Aufgaben in der Erhaltung, Modernisierung und im Ausbau des Schienennetzes nicht erfüllt hat. Also, wir können diese zusätzlichen Angebote und Verkehre nur abfahren, wenn Engpässe beseitigt werden, wenn zusätzliche Schienenstrecken gebaut werden und vor allen Dingen, wenn das Bestandsnetz wirklich leistungsfähig ist, zuverlässig funktioniert und eben wenn dort auch durch die digitale Steuerungstechnik ETCS die Kapazität nochmal deutlich erhöht wird. Also, der Bund muss seine eigenen Aufgaben machen, das wird ja an anderer Stelle von den Ländern auch immer eingefordert, nur dann wird die Verkehrswende gelingen. Also, ich würde sagen, jede staatliche Ebene muss sich um die eigenen Aufgaben zunächst mal kümmern und dann im Schulterschluss Bund, Ländern und Gemeinden werden wir es gemeinsam schaffen.

Herr Theurer, Sie sind ja nicht nur Staatssekretär im Verkehrsministerium, sondern Sie sind ja auch parteipolitisch aktiv. Sie sind Bundestagsabgeordneter, sind aber auch seit 2013 Mitglied im FDP-Bundespräsidium, seit 2013 ebenfalls Landesvorsitzender der FDP in Baden-Württemberg. Wenn man jetzt auf die parteipolitische Ebene mal schaut, sieht man die FDP durchaus in der Kritik. Das betrifft nicht Ihren Landesverband in Baden-Württemberg, sondern das betrifft den Thüringer Landesverband, der am Donnerstagabend gemeinsam mit der CDU aber auch der AfD für die Senkung der Grunderwerbssteuer in Thüringen gestimmt hat. Wie stehen Sie dazu? 2024 wird in Thüringen gewählt – wäre es nicht sinnvoller gewesen, die FDP hätte sich enthalten, statt mit der AfD zu stimmen? Beziehungsweise sehen Sie hier eigentlich die Gefahr, dass die FDP die AfD mit so einem Abstimmungsverhalten am Ende normalisiert und vielleicht auch aufwertet?

Wir haben als FDP einen klaren Beschluss, dass wir nicht mit der AfD zusammenarbeiten, also auch keine AfD-Anträge unterstützten. Bei der Abstimmung im Thüringischen Landtag stand ein Antrag der CDU-Oppositionsfraktion zur Abstimmung, dem die FDP dort offensichtlich zugestimmt hat. Und da halte ich es mit dem Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD, der mal gesagt hat, man darf sein eigenes Abstimmungsverhalten nicht von der AfD abhängig machen, sondern wenn eben ein Antrag von der SPD oder von der CDU kommt – und das kommt ja auch in Kommunalparlamenten dauernd vor –, dann muss es möglich sein, dass die FDP einem solchen Antrag zustimmt, wenn sie ihn für richtig hält.

Ja, aber Sie haben ja trotzdem einen Teil meiner Frage nicht beantwortet: Wertet man damit die AfD auf?

Na ja, also, mir ist bekannt, dass auch die Minderheitsregierung, die rot-rot-grüne in Thüringen, schon mal die Situation hatte, dass ein Antrag von diesen Parteien – rot-rot-grün – eine Mehrheit gefunden hat, weil die AfD zugestimmt hat. Also, man muss ja da aufpassen, dass nicht mit zweierlei Maß gemessen wird. Wir haben ja leider in einigen Parlamenten die schwierige Situation, dass eben durch das starke Abschneiden extremer Parteien – in dem Fall der AfD – die Mehrheitsfindung erschwert wird. Und in der Tat ist es mit Sicherheit besser, in den Parlamenten vorher miteinander zu überlegen, wie man zu Mehrheiten kommt. Aber in diesem konkreten Fall hat jetzt die CDU einen Antrag gestellt und die FDP hat dem zugestimmt. Und wenn die SPD mit der Linkspartei und den Grünen einen Antrag stellen und die AfD stimmt dem zu, da habe ich jetzt keinen bundesweiten Aufschrei gehört, dass das ein Problem darstellt. Wenn es nach mir geht, dann muss das Ziel sein, in allen Parlamenten dafür zu sorgen, durch die Bürgerinnen und Bürger, dass die Mitte gestärkt wird und eben nicht die politischen Extreme.

Wenn man sich jetzt die Ampelregierung anschaut – und man ist ja jetzt ungefähr in der Hälfte der Legislaturperiode –, sieht man, dass sich die Ampelregierung über Monate selbst gelähmt hat, indem man sich sehr zerstritten hat über die Priorisierung, zum Beispiel des Autobahnausbaus, aber auch des Energieinfrastrukturausbaus über den Schienenwegeausbaus. Man hat da Monate gebraucht, bis man einen Kompromiss gefunden hat. Man hat sich in verkehrspolitischen, in klimapolitischen Fragen, meiner Ansicht nach, fast völlig zerlegt. Ist denn jetzt eigentlich in der zweiten Halbzeit mit mehr Ruhe zu rechnen? Weil, der Streit innerhalb der Ampel wird ja auch als ein Faktor gesehen, der den Aufstieg der AfD begünstigt.

Ich habe eher den Eindruck, dass in der Vergangenheit zu wenig gestritten, gerungen und öffentlich diskutiert wurde über die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen – Stichwort „Demographischer Wandel“. Weil, wenn ich beispielsweise höre, dass in Baden-Württemberg 37 Prozent der Ärzte über 60 sind, dann ist das ein Faktum, dass seit Langem bekannt ist, aber man hat immer noch keine Antwort darauf, wie man in Zukunft zum Beispiel auch die medizinische Versorgung im ländlichen Raum sicherstellen will. Also, das sind alles Themen, die zurückgestaut wurden, das bricht sich jetzt Bahn. Und da bin ich der Meinung, ein offener Diskurs ist da eigentlich die richtige Vorgehensweise. In der Ampelkoalition allerdings, würde ich mir wünschen, dass wir das eher hinter verschlossenen Türen mal vorbereiten und dann ins Parlament gehen. Bei der Schiene jedenfalls hat das gut geklappt, denn die Beschleunigungskommission Schiene, die ich ja leiten durfte mit Susanne Henckel, meiner Staatssekretärskollegin, hat einstimmig mit den Vertretern von Wirtschaft, Wissenschaft, DB, Verbänden, Nicht-Regierungsorganisationen und der Ampelfraktionen dann einen Empfehlungsbeschluss gefasst, den wir jetzt auch mit großem Nachdruck umsetzen.

Herr Theurer, herzlichen Dank für das Gespräch.

Ich danke Ihnen, Frau Lindner.

Das war Michael Theurer, Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr. Herzlichen Dank.

Das Interview führte Nadine Lindner.

Quelle: Deutschlandfunk