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Volker Wissing sitzt in einem hellem Raum

Quelle: BMDV

Neue Berliner Redaktionsgesellschaft:
Was haben Sie heute Gutes fürs Klima getan?

Volker Wissing:

Generell essen meine Familie und ich wenig Fleisch. Zudem heizen wir allgemein nicht viel. Ich bin auf dem Land in einem Haus aufgewachsen, in dem man nicht alles beheizen konnte. Deshalb ist es für mich natürlich, wenn Flure nicht beheizt werden und dafür unsere Wohnküche warm ist.

Und was die Mobilität angeht?

Wenn es möglich ist, bin ich privat in Berlin gern mit der S-Bahn unterwegs.

Werden Sie erkannt?

Ja, das kommt vor. Wenn mich die Leute erkennen, sprechen sie mich auf das Deutschlandticket an oder stellen Fragen wie: Warum wartet mein Regionalzug denn nicht auf den verspäteten ICE?

Sie wissen die Antwort?

Natürlich. Zum einen sind es unterschiedliche Aufgabenträger. Zum anderen bekommen Regionalverkehrsuntermehmen Vertragsstrafen, wenn Züge warten und nicht pünktlich abfahren. An dem Thema, wie wir Regional- und Fernverkehr aufeinander abstimmen und eine bessere Vernetzung hinbekommen, arbeiten wir im Rahmen des Deutschlandtakts.

Sie sprechen den Regionalverkehr an. Mit dem bundesweiten 49-Euro-Ticket haben Sie ein bisher einmaliges Angebot geschaffen, um mehr Menschen in Bus und Bahn zu bringen.

Lange Zeit war das ÖPNV-Angebot vor allem in der Fläche in vielerlei Hinsicht nicht attraktiv genug. Entweder mussten sich die Menschen durch Abos lange binden oder teilweise bis weit über zehn Euro pro Einzelfahrschein zahlen. Die Tarifstruktur war kompliziert und der Kauf der Fahrkarten umständlich. Mit dem 9-Euro-Ticket haben wir gezeigt, dass man mit einem einfachen Preis und einer unkomplizierten Nutzung, 20 Prozent mehr Fahrgäste für ÖPNV begeistern kann. Mit dem Deutschland-Ticket knüpfen wir daran an.

Einige Fragen sind aber noch offen. Zum Beispiel, ob Fahrgäste mit dem 49-Euro-Ticket ihr Rad mitnehmen können.

Wir haben uns auf ein Deutschlandticket für 49 Euro verständigt. Das bezahlen Bund und Länder jeweils zur Hälfte. Das Ticket gilt für eine Person im monatlich kündbaren Abo. Fragen wie die Fahrradmitnahme müssen die Länder klären. Jedes Bundesland ist frei, das 49-Euro-Ticket aus eigenen Mitteln zusätzlich zu gestalten.

Häufig haben die Menschen auf dem Land nicht die Möglichkeit, den ÖPNV zu nutzen. Der Bus fährt, wenn überhaupt, dreimal am Tag. Ist das Ticket nicht eher was für Städter?

Für diese Argumentation müsste man auf dem Standpunkt stehen: Ich nutze den ÖPNV erst, wenn ich überall einen Sieben-Minuten-Takt auf dem Dorf habe. Das bedeutet aber, dass man den ÖPNV nie nutzen wird. Denn eine solch hohe Taktung wird es flächendeckend niemals geben können.

Aber einen dichteren Takt als jetzt vielleicht schon…

Das macht auf bestimmten Strecken auch Sinn. Aber es gibt nicht genug Fachkräfte, um Busse überall in engem Takt fahren zu lassen. Das können die Länder kaum ändern. Es ist zudem eine Utopie zu glauben, dass wir den Menschen überall ein so umfangreiches ÖPNV-Angebot anbieten können wie in Berlin-Mitte. Trotzdem kann man auch heute im ländlichen Raum den ÖPNV gut nutzen, indem man mit dem E-Bike oder dem Auto zum nächsten Knotenbahnhof fährt. Dort findet man gut getaktete und attraktive Verbindungen. Woran es noch fehlt, sind gute Übergangsmöglichkeiten zwischen den unterschiedlichen Verkehrsträgern - etwa vom Rad auf die Bahn.

Wie genau wollen Sie das schaffen?

Wir müssen die Infrastruktur anpassen und zum Beispiel mehr Fahrradparkhäuser bauen. Vielfach haben die Menschen heute keine Möglichkeit, ihre teuren Hightech-Räder sicher anzuschließen. Das müssen wir ändern. Im Idealfall haben wir ein Parkhaus für E-Bikes, in dem man die Stellplätze digital vorbuchen kann. Chancen bieten aber auch digitale On-Demand-Verkehre und telegesteuertes Carsharing. In vielen Städten fahren bereits digitale Sammeltaxis und ergänzen den ÖPNV. Das ist auch im ländlichen Raum denkbar. Statt der immer gleichen Rufe nach mehr Geld und mehr Personal brauchen wir einen funktionierenden Mobilitätsmix. Es ist eine Frage der gesellschaftlichen Teilhabe und der Freiheit, dass wir gemeinsam für diese Möglichkeiten sorgen.

Schaffen Sie es mit Ihrer Politik, die Klimaziele bis 2030 im Verkehrssektor einzuhalten?

Ich möchte so schnell wie möglich so viel Klimaschutz wie möglich erreichen, ohne dabei die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger zurückzudrängen und ohne Logistik und Lieferketten zu gefährden. Das ist die Aufgabe guter Verkehrspolitik. Und in diesem Zusammenhang habe ich eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht und zum Teil bereits umgesetzt. Wir dürfen aber auch nicht übersehen, dass Eingriffe in die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger, Eingriffe in deren Möglichkeiten zur Teilhabe sind. Mobilität ist weit mehr als von A nach B zu kommen. Mobilität steht für den Besuch von Freunden und Familie, den Weg zur Arbeit oder zu kulturellen Veranstaltungen. Mobil sein zu können, heißt teilhaben und sich selbst entfalten zu können. Diese Möglichkeiten einschränken zu wollen, kann kein Ziel guter Politik sein.

Aber anders als der normale Bürger können Sie entscheidende politische Weichen dafür stellen.

Die Einhaltung der Klimaziele wird uns nicht durch Zwang, Verbote und Verzicht gelingen. Wir müssen den Menschen gute, attraktive Angebote machen, die sie überzeugen. Mit dem Deutschland-Ticket ermöglichen wir mehr Mobilität, statt sie einzuschränken. Wenn die Menschen darin einen Fortschritt, einen Mehrwert erkennen und durch einen Umstieg auf den ÖPNV zum Klimaschutz beitragen, werden wir auch die Klimaziele erreichen. Der Weg zu einer klimafreundlicheren Mobilität geht über bessere Angebote, nicht über mehr Verbote.

Ein einfacher Weg, etwas für den Klimaschutz zu tun und auch noch den Verkehr sicherer zu machen, wäre ein Tempolimit. Warum führen Sie es nicht ein?

Ein Tempolimit ist im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen.

Das ist, bei allem Respekt, kein schlagendes inhaltliches Argument. Mal abgesehen davon war das 49-Euro-Ticket auch nicht im Koalitionsvertrag vereinbart.

Das Thema Tempolimit ist ausdiskutiert. Mit dem Hochlauf der Elektromobilität verliert es ohnehin seine Bedeutung.

Was halten Sie vom Vorschlag, flächendeckend Tempo 30 in Innenstädten einzuführen?

Flächendeckend Tempo 30 in Innenstädten lehne ich ab. Wir brauchen zum Beispiel einen flüssigen Verkehr an Durchgangsstraßen. Landesbehörden können bereits nach heutiger Rechtslage Tempo 30 anordnen: in Wohngebieten, vor bestimmten sensiblen Einrichtungen oder an Gefahrenstellen. Wir sind offen für unterschiedliche Lösungsansätze und Innovationen und werden dies in einer Sonder-Verkehrsministerkonferenz Ende November besprechen.

In der Ampel-Koalition wird seit Monaten heftig gestritten. Hätten die FDP da nicht besser 2017 Jamaika gemacht? Dann wäre Ihnen die Ampel vermutlich erspart geblieben.

Angela Merkel hatte der FDP in der Jamaika-Koalition keine Rolle zugedacht, in der sie irgendetwas hätte bewegen können. In der Ampel ist das anders. In dieser Regierung sind wir die Stimme der Menschen, die auf Eigenverantwortung setzen und nicht mit immer mehr staatlichem Zwang und Verboten konfrontiert werden wollen. Dafür ringen wir schon mal hart in der Koalition. Das sind wir unseren Wählerinnen und Wählern schuldig.

Von außen sieht das alles nach einem höchst anstrengenden Gezerre aus.

Ich kann es gut akzeptieren, wenn andere Menschen andere Meinungen haben. Umso wichtiger ist die Suche nach den besten Lösungen, die unser Land voranbringen. Wir haben einen guten Koalitionsvertrag und regieren vor dem Hintergrund zahlreicher Krisen konstruktiv und effizient.

Zum Schluss möchten wir gern noch etwas mehr über den Menschen Volker Wissing wissen. Sie sind Organist. Wie häufig kommen Sie dazu, Orgel zu spielen? Und: Warum gerade Orgel?

Ich komme leider nicht mehr sehr häufig dazu. Früher habe ich regelmäßig Orgel in Gottesdiensten gespielt. Dafür finde ich heute keine Zeit mehr. Aber ich habe die Liebe zum Orgelspielen nie verloren. In diesen Musikstücken, die über die Jahrhunderte entstanden sind, entdeckt man oft eine Kraft, die einen auch über Schwierigkeiten im Alltag trägt. Gleichzeitig ist Orgelspielen etwas sehr Körperliches. Man sitzt auf der Kante der Orgelbank. Mit den Beinen müssen Sie die Pedale bespielen. Dazu brauchen Sie eine ausgesprochen gute Bauchmuskulatur.

Wo genau spielen Sie, wenn Sie es doch mal schaffen?

Ich habe ein elektronisches Instrument zu Hause. Und ich habe auch Schlüssel zu Kirchen.

Zu wie vielen?

Drei. Das ist bei Organisten üblich, so viele gibt es von uns ja nicht. Ich habe 14 Jahre lang regelmäßig in Gottesdiensten gespielt. Es ist etwas Besonderes, eine Gemeinde musikalisch zu führen. Es ist aber auch ein schönes Gefühl, mit dem Instrument allein in der Kirche zu sein.

Welche Rolle spielt Ihr Glaube in Ihrer politischen Arbeit?

Meine Aufgabe hier ist eine weltliche und keine religiöse. Der Glaube prägt einen Menschen. Aber meine politischen Entscheidungen orientieren sich nicht an der Meinung meiner Kirche.

Das Interview führten Dorothee Torebko und Tobias Peter