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9 Euro Ticket Foto - Wissing

Quelle: BMDV

Mit dem 9-Euro-Ticket hätten die Menschen dafür abgestimmt, dass es mit dem ÖPNV so nicht weitergehen kann, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing im Dlf. Es dürfe keinen Rückfall in veraltete Tarifstrukturen geben.

Das 9-Euro-Ticket läuft nun (Stichtag 31. August) aus. Im Interview mit dem Deutschlandfunk zieht Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) eine positive Bilanz und verspricht die Vorlage eines modernen Tickets für den ÖPNV. Die Tarifstrukturen müssten vereinfacht, die Vertriebsstrukturen digitalisiert werden. Die Preisgestaltung sollte zwar „attraktiv“ bleiben, könne aber nicht kostenlos sein, darin sei er sich mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) einig.

Vorschläge der Länder, „wie das neue Ticket aussehen soll“

Damit der Rückfall in alte Tarifstrukturen ab dem 1. September „vorrübergehend“ sei, müssten sich auch die Länder einbringen, sagte Wissing. Es brauche ihre Vorschläge, wie sich Tarifverbünde und die damit verbundene Komplexität überwinden lasse. Dann sei der Bund auch bereit, dafür Geld zu geben.

Der Bundesverkehrminister verwies in dem Zusammenhang auf den Druck, den er in der Bundesverkehrsministerkonferenz habe ausüben müssen. „Sonst hätte es kein 9-Euro-Ticket gegeben.“ Er betonte, dass die erste Reaktion auf seinen Vorschlag für das Ticket ablehnend gewesen sei.

Das Interview in voller Länge:

Silvia Engels: Wir haben erste Stimmen gehört. Wie würdigen Sie Michail Gorbatschow?

Michail Gorbatschow war ein herausragender Staatsmann, dem wir viel zu verdanken haben. Er hatte erkannt, dass er mit dem Amt, das er ausgeübt hat, den Menschen Freiheit und Frieden schaffen kann, und er hat diese Chance genutzt. Das werden wir ihm nie vergessen.

Wie würden Sie vorschlagen, dass Michail Gorbatschow den Deutschen in Erinnerung bleibt?

Er hat uns den Weg zur Wiedervereinigung geebnet. Das war ein historischer Schritt, der auch wichtig war für die Entwicklung Europas. Er sollte Vorbild sein, gerade auch in der jetzigen Situation, für Russland.

„Menschen haben das Ticket in ihr Herz geschlossen“

Engels: Dann wechseln wir von dieser Würdigung nun in die Tagespolitik, die ja auch wichtig ist, aber natürlich auf einer ganz anderen Ebene spielt. Es geht in Meseberg derzeit um viele Themen bei der Kabinettsklausur, unter anderem um ein Energie-Entlastungspaket, um eine Digitalstrategie, aber auch eine Diskussion um eine mögliche Fortsetzung des 9-Euro-Tickets. Wir erinnern uns: Dieses Ticket wurde in den vergangenen drei Monaten über 50 Millionen Mal verkauft. Es erlaubte bundesweit die Nutzung von Regionalzügen, Bussen und Bahnen. Heute ist der letzte Tag dieses Tickets, aus Sicht vieler Nutzer und der Verkehrsbetriebe ein Erfolg. Gibt es vielleicht doch eine Fortsetzung?

Ich habe das Ticket selbst vorgeschlagen, weil ich davon überzeugt bin, dass es mit den ÖPNV-Strukturen so nicht weitergehen kann. Viele waren damals skeptisch. Jetzt haben wir gesehen, das ist ein Erfolg. Die Menschen haben das Ticket von Anfang an in ihr Herz geschlossen und die Chance gesehen. Die Menschen haben durch den Kauf dieser vielen Tickets darüber abgestimmt, dass es so nicht bleiben soll, und deswegen möchte ich, dass wir die ÖPNV-Strukturen vereinfachen, digitalisieren, und wir brauchen eine bessere Tarifstruktur. Es muss etwas Neues geben.

Die FDP hat das bislang immer in Frage gestellt, hier etwas zu machen, weil es zu teuer sei. Nun kommt von der SPD-Fraktion die Idee auf den Markt, das Ticket für kleine und mittlere Einkommen für 49 Euro anzubieten, und Bund und Länder sollen sich die Kosten teilen. Ist das der Weg?

Die FDP hat ja immer eine Vereinfachung und eine stärkere Digitalisierung der Tickets, weniger Bürokratie gefordert. Ich selbst habe dieses 9-Euro-Ticket vorgeschlagen. Was natürlich wichtig ist, ist, dass es am Ende eine gemeinsame Finanzierung gibt zwischen Ländern und Bund. Ich habe in den letzten Tagen auch viele Gespräche mit dem Bundesfinanzminister geführt und konnte ihn mit guten Argumenten davon überzeugen, dass wir bessere ÖPNV-Tarifstrukturen brauchen. Deswegen steht auch er hinter dem Konzept, etwas Besseres zu machen als das, was wir im ÖPNV bisher haben.

„Die Menschen erwarten, dass es moderner wird“

Engels: Aber geht es konkreter? Kann man auf dieses 49-Euro-Ticket setzen? Das muss dann ja auch berechnet werden, wieviel würde der Bund tragen, wieviel müssten die Länder tragen.

Wir müssen zunächst einmal wissen, wie soll so ein Ticket aussehen, wo kann es gelten, wie schaffen wir, das gemeinsam zu finanzieren, was können die Länder leisten. Und wenn wir genau wissen, wie die Struktur des Tickets sein soll, wie es vertrieben werden soll, dann muss am Ende die Frage stehen, wie gestalten wir den Preis. Wissen Sie, wir haben in Deutschland Milliarden, die wir ausgeben, seitens der Länder, alleine an Vertriebskosten für diese veralteten Tarifstrukturen. Deswegen haben die Menschen verdient, dass wir das Geld nicht für veraltete Tarifstrukturen ausgeben, sondern für verbesserte Tickets, die mehr bieten, die in ganz Deutschland gelten, die man einfacher erwerben kann, über digitale Strukturen. Es kann ja nicht einfach nur immer alles so bleiben, wenn die Menschen erwarten, dass es sich verbessert, dass es moderner wird.

Kein Rückfall in die alten Tarifstrukturen beim ÖPNV

Engels: Also machen Sie sich nicht die Meinung von Ihrem Parteichef Lindner zu eigen, der ja vor einigen Wochen das Ticket auch deshalb nicht fortsetzen wollte, um nicht eine Gratismentalität zu fördern, sondern Sie sehen schon Fortsetzungsbedarf?

Ich bin mir mit Christian Lindner vollkommen einig, dass es keinen kostenlosen ÖPNV geben kann, denn der ÖPNV muss ja permanent weiterentwickelt werden. Aber was auch klar ist – und auch darüber bin ich mir mit Christian Lindner einig –, dass wir mehr Digitalisierung, mehr Vereinfachung, bessere Tickets brauchen, und natürlich muss auch die Preisgestaltung am Ende attraktiv sein. Ich habe ihn davon überzeugt, dass es ein weiteres moderneres Ticket geben muss, und deswegen werden wir uns dafür einsetzen, dass es nicht wieder zum Rückfall in die alten Tarifstrukturen kommt, so wie jetzt kurzfristig ab dem 1. September.


Länder waren anfangs gegen das 9-Euro-Ticket

Engels: Und dafür würde auch Christian Lindner noch mal in die Kasse greifen?

Selbstverständlich ja, denn wir wollen etwas verbessern, gemeinsam mit den Ländern. Nur man kann nicht vom Bund erwarten, dass er einfach Geld auf den Tisch legt, wenn die Länder selbst keine Vorschläge haben, wie das neue Ticket aussehen soll, wie die Struktur sein soll, wie wir die ganzen Tarifverbünde, die Komplexität überwinden. Deswegen bleibe ich bei dem, was ich immer gesagt habe: Wir müssen über Inhalte reden, über die Struktur des ÖPNV reden, über den Beitrag, den die Länder leisten können, und dann ist natürlich auch der Bund bereit und da weiß ich Christian Lindner an meiner Seite, etwas auf den Tisch zu legen. Nur die Reihenfolge muss stimmen. Ansonsten tut sich ja nichts. Ohne den Druck, den ich als Verkehrsminister in die Verkehrsministerkonferenz reingebracht habe, hätten wir das Neun-Euro-Ticket ja nie bekommen. Die Länder waren am Anfang ja weitgehend ablehnend und wollten es im Bundesrat sogar scheitern lassen.


„Wir werden ein modernes ÖPNV-Ticket auf den Tisch legen“

Soviel zur Finanzierbarkeit einer Nachfolgelösung des Neun-Euro-Tickets. Nun haben Experten ausgerechnet, dass doch so viele Menschen in den drei Monaten vom Auto weg auf ÖPNV umgestiegen sind, dass es tatsächlich eine merkliche CO2-Entlastung von rund 1,8 Millionen Tonnen gab, also auch ein Umweltargument. Könnte Ihnen eine Fortsetzung des Tickets auch helfen, die im Klimagesetz vorgeschriebene CO2-Einsparung speziell beim Verkehr voranzubringen? Denn ein Expertenrat hat ja letzte Woche Ihr Sofortprogramm zur CO2-Reduktion dazu rundweg abgelehnt.

Selbstverständlich bedeutet die Nutzung des ÖPNV, der Umstieg vom Auto auf den ÖPNV eine Reduktion der CO2-Emissionen und deswegen war ich von Anfang an ambitioniert und wollte dieses Ticket. Ich wollte auch, dass es ein Erfolg wird. Ich war einer der ersten, die gesagt haben, das wird ein Erfolg, um auch klar zu sagen, wir stehen dahinter. Natürlich wollen wir ein Klimaschutzprogramm vorlegen, das unsere Ziele erreicht. Wir haben jetzt noch kein komplettes Klimaschutz-Sofortprogramm. Daran arbeiten wir noch. Aber wir werden etwas auf den Tisch legen und werden auch ein modernes ÖPNV-Ticket auf den Tisch legen, mit dem wir sagen können, diese Regierung ist eine Fortschrittsregierung und bringt auch den Klimaschutz voran, reduziert CO2-Emissionen im Verkehr. Daran arbeite ich sehr ambitioniert.

Wann ist das soweit?

Das muss letztlich der Wirtschafts- und Klimaschutzminister entscheiden, wann genau er das ins Kabinett einbringt, aber wir führen gute Gespräche, gute Beratungen und kommen voran. Wir haben jetzt mit dem Ticket auch gesehen, wir haben ja zusätzlich CO2 eingespart, aber am Ende brauchen wir ein Gesamtprogramm, hinter dem auch alle stehen und sagen, das ist der Pfad, mit dem wir unsere Klimaschutzziele sicher erreichen. Ich bin im Verkehrsbereich sehr ambitioniert, aber ich muss die Gesellschaft auch mobil halten. Deswegen bin ich auch so drängend, wenn es darum geht, Strukturreformen auf den Weg zu bringen. Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen. Schauen Sie, zwei Milliarden Vertriebskosten bei ÖPNV-Tickets einfach so zu lassen und hinterher zu sagen, wir haben aber kein Geld, um mehr Klimaschutz zu betreiben, das kann nicht richtig sein. Dann muss man das Ticket-System vereinfachen, das Geld sinnvoller einsetzen.

Ticket-System vereinfachen – da sind wir auch ganz schnell bei dem zweiten großen Thema, zu dem wir verabredet sind, nämlich die Digitalstrategie der Bundesregierung. Heute wollen Sie Eckdaten vortragen. Wo legen Sie den Schwerpunkt?

Wir wollen ganz klar Hebelprojekte voranbringen, weil wir gesehen haben, dass Deutschland nicht gut dasteht bei der Digitalisierung. Wir brauchen beispielsweise so schnell wie möglich digitale Identitäten. Wir müssen Daten stärker verfügbar machen. Wir brauchen auch Normen und Standards, dass wir Daten interoperabel machen. Dann brauchen wir, auch ganz wichtig, eine gute digitale Infrastruktur und die Bundesregierung hat sich auf 18 Leuchtturm-Projekte verständigt, die von den Ressorts in eigener Verantwortung, aber mit einer klaren zeitlichen Zusage umgesetzt werden. Wir wollen alle Leuchtturm-Projekte in dieser Legislaturperiode erreichen, das heißt bis 2025, und uns auch daran messen lassen. Das ist die erste wirklich konkrete Digitalstrategie einer deutschen Bundesregierung und damit ein großer Schritt für unser Land.

Deutschland digital voranbringen

Engels: Sie sprechen von Leuchtturm-Projekten. Aber wir sehen ja seit Jahren, dass sowohl Behörden vielfach nicht darauf vorbereitet sind, alle ihre Dienstleistungen digital anzubieten. Auch der Netzausbau stockt weiterhin. Wie beschleunigen Sie denn konkret das eine wie das andere, denn mit reinen Leuchtturm-Projekten ist es ja nicht getan?

Wir beschleunigen das, indem wir jetzt konkret werden und uns nicht in Zukunftsvisionen von Flugtaxis und anderem verlieren, sondern ganz konkret den Glasfaserausbau voranbringen, den 5G-Ausbau voranbringen, indem wir digitale Identitäten schaffen, eine Gesundheitsakte, eine elektronische Gesundheitsakte schaffen, Datenräume verfügbar machen, diese ganz konkreten Dinge, die unser Land voranbringen. Unsere Hebelprojekte sind die Türöffner für Räume unbegrenzter Möglichkeiten und deswegen sind wir jetzt anders unterwegs als frühere Bundesregierungen, weil wir konkret werden. Wir werden mit Daten konkret und viele Punkte, die jetzt in der Digitalstrategie enthalten sind, sind auch schon in der Umsetzungsphase, weil wir sofort nach Regierungsübernahme damit begonnen haben, Deutschland digital voranzubringen.

Aber gerade bei einigen Bereichen, Stichwort Digitalisierung von Schulen, stoßen Sie immer wieder auf große Schwierigkeiten, auch weil es hier um Länderkompetenzen geht. Fehlen rund um die Digitalisierungsstrategie der Bundesebene Kompetenzen?

Wir sind ein föderal organisierter Staat und das ist auch gut und richtig so. Aber klar ist es, wenn es um Modernisierungsschritte geht, dass Bund und Länder zusammenarbeiten müssen. Aber wissen Sie, ich komme noch mal zurück auf das Beispiel 9-Euro-Ticket. Das ist ja auch ein modernes digitales Ticket gewesen. Da gab es auch Widerstand der Länder. Wenn Sie in der ersten Verkehrsministerkonferenz, nachdem ich den Vorschlag gemacht hatte, die Stimmen der Bundesländer gehört hätten, dann hatte man den Eindruck, es soll alles so bleiben wie es ist mit den Tarifen, weil es schon wunderbar sei. Am Ende muss man mit Argumenten überzeugen und das braucht man auch in den anderen Feldern, in denen wir digitalisieren und modernisieren wollen. Entscheidend ist – und das ist das gute Signal –, diese Bundesregierung ist ambitioniert und engagiert, um Deutschland mit Fortschritt nach vorne zu bringen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Das Interview führte Silvia Engels