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Dr. Volker Wissing

Quelle: Bundesregierung / Jesco Denzel

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde und viele fragen sich, wie KI unseren Alltag einmal verändern könnte. Dabei ist dieser Prozess schon in vollem Gange: Wetterprognosen werden durch KI besser, die Analyse von Röntgenbildern präziser und Verkehrsströme lassen sich effizienter lenken. Besser, präziser, effizienter. KI bietet uns Chancen bei der Bewältigung zentraler gesellschaftlicher Herausforderungen.

Damit Deutschland und Europa hier eine führende Rolle spielen können, müssen wir diese Chancen in den Mittelpunkt politischer Entscheidungen rücken. Die EU hat vor einigen Jahren begonnen, an einem rechtlichen Rahmen zu arbeiten. Die KI-Verordnung (AI Act) mit ihrem risikobasierten Ansatz ist grundsätzlich eine richtige Herangehensweise. Die Auflagen für Anwender und Unternehmen sollten mit dem Risiko der jeweiligen Anwendung steigen. Für KI-Systeme, die bei kritischer Infrastruktur (Energieversorgung,Verkehrsleitung) eingesetzt werden, müssen andere Regeln gelten als für Service-Chatbots, die bei der Urlaubsplanung beraten.

Europa braucht Mut

Neuen Schwung hat die Debatte durch das Aufkommen generativer KI bekommen, also den Anwendungen, die - wie ChatGPT oder Dall-E2 - aus der Analyse sehr großer Datenmengen neue Inhalte generieren und somit ganz neue Möglichkeiten eröffnen, uns aber gleichzeitig vor ganz neue Fragen stellen. Woher weiß der Anwender, wie eine solche KI programmiert wurde, kann er sich auf die Ergebnisse verlassen, wer haftet für falsche Entscheidungen? Im aktuellen Entwurf finden sich dazu kaum Vorschläge - und das sollten wir als Chance begreifen.

Eine sich schnell entwickelnde Technik in den starren Rahmen eines Gesetzes zu zwängen, ist nicht der beste Weg, um Europas mangelnde Wettbewerbsfähigkeit auf diesem Gebiet zu stärken. Was Europa braucht, ist Mut. Mut, sich darauf einzulassen, Innovationen in ihrer Entwicklung nicht einzuschränken, sondern ihnen lediglich Leitplanken vorzugeben.

Konkret bedeutet das, den Anwendungsbereich der KI-Verordnung nicht noch weiter auszuweiten und die Entwicklung generativer KI stattdessen eng zu begleiten – und am besten nicht nur national oder europäisch, sondern global. Schon im Mai haben die G7-Staats- und Regierungschefs hierfür den Grundstein gelegt und sich geeinigt, unmittelbar intensive Diskussionen aufzunehmen. Der sogenannte Hiroshima KI-Prozess könnte noch in diesem Jahr gemeinsame Leitplanken für den Umgang mit generativer KI fertigstellen.

Es stellen sich drei Fragen

Europa stünde es gut zu Gesicht, die Ergebnisse eines solchen Code of Conducts in eine verpflichtende Selbstregulierung zu übersetzen. Wir haben mit solchen Instrumenten im Rahmen von Cloud-Technologien und im Kampf gegen Desinformationen und strafbare Hassrede bereits wichtige Erfahrungen sammeln können, die nun zur Anwendung kommen. Dafür müssen wir drei Fragen beantworten:

Was wollen wir adressieren?

Bei generativer KI haben wir derzeit mehr Fragen als Antworten. Ein Code of Conduct könnte Klarheit schaffen. Das beginnt bei der Transparenz über die Daten, die zur Programmierung hinzugezogen werden, geht über ein Mindestmaß an Algorithmusoffenheit und endet noch nicht bei der Ausbildung von Programmiererinnen und Programmierern, um Bias zu vermeiden.

Wer soll es umsetzen?

Hier muss klar sein, dass wir es nicht den großen Unternehmen allein überlassen sollten. Meta, Microsoft und Co. haben in der Regel keine Schwierigkeiten mit der Umsetzung von Regulierung, da sie über ausreichend Ressourcen verfügen. Auf der Strecke bleiben aber kleine und mittelständische Unternehmen, die in Nischen an generativer KI arbeiten und Start-ups, die in der EU nicht nur Spitzentechnologie entwickeln, sondern auch nachhaltig wirtschaften sollen. Deshalb sollten wir ausgewählte Verbände und Normungsgremien zu den zentralen Akteuren der Selbstregulierung machen, da dort KMUs und Start-ups vertreten sind.

Wie soll es nachgehalten werden?

Natürlich muss eine verpflichtende Selbstregulierung mit einem engen Review-Prozess einhergehen. Nach zwei Jahren müssen wir uns die Karten legen: Haben wir unser Ziel erreicht? Müssen wir den Code of Conduct anpassen? Oder bedarf es doch einer harten Regulierung und der Integration generativer KI in die KI-Verordnung. Mit einer verpflichtenden Selbstregulierung für generative KI als Ergänzung der KI-Verordnung können wir die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken und gleichzeitig Mut beweisen. Mut, Innovationen zuzulassen.

Dieser Text wurde am 15.07.2023 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht.