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Bundesminister Volker Wissing

Datensammeln und Datenteilen – eigentlich nichts Neues. Wir sind seit Menschengedenken Datensammler und Datenjäger. Der menschliche Drang zum Datensammeln fand seinen Ausdruck bereits in keilschriftlichen Tontafeln der sumerischen Stadtstaatenbeamten des Zweistromlandes oder bei der berühmten Volkszählung des römischen Kaiser Augustus.

Die heutige Gesamtmenge der digitalen Informationen überschreitet jedoch unser Vorstellungsvermögen – eine Datenexplosion. Allein Google, mit dessen Vertretern ich mich Anfang des Jahres anlässlich der Consumer Electronics Show in Las Vegas austauschen konnte, soll im Jahr 2009 pro Tag 24 Petabyte an Daten gesammelt haben. Bei selbstfahrenden Autos, die mancherorts bereits auf amerikanischen Straßen unterwegs sind, werden etwa bis zu 4 Terabytes pro Tag gesammelt. Zum Vergleich: Alle jemals geschriebenen Bücher kommen zusammen auf 50 Petabyte.

Dennoch haben wir bis heute keine positive Einstellung zum Sammeln, Analysieren und Nutzen von Daten entwickelt. Eine positive Einstellung zum Thema Daten könnte aber dazu führen, dass diese nicht nur zu einer ökonomischen Wertschöpfung unvorstellbaren Ausmaßes werden, sondern uns auch dabei helfen können, zentrale gesellschaftliche Herausforderungen zu stemmen.

Daten für Taten – in einem Ausmaß, das die Welt verändert. Datenmassen eröffnen der Wissenschaft neue Erkenntnisse und verbessern Produktionsabläufe. Big Data sind Rohmaterial für wirtschaftliche Innovationen. Und zwar so gravierend, dass Daten eigentlich in einer Unternehmensbilanz auftauchen müssten. Die bittere Wahrheit ist jedoch: 85 Prozent der bereits erhobenen Daten werden nicht ein einziges Mal benutzt. Große Tech-Unternehmen, denen das Sammeln von Daten technologisch möglich ist, können die riesigen Datenmengen gar nicht auswerten – KMUS und Startups hingegen können mehr Daten dringend gebrauchen. Aber vor allem lähmt die Trägheit zum Datenteilen auf allen Seiten den Alltag der Bürgerinnen und Bürger.

Denn für das Sammeln und Teilen von Daten sprechen nicht nur wirtschaftliche Gründe. Es ist auch ein soziales Thema, das völlig unterschätzt wird.

Das Sammeln und Teilen von Daten bringt für jeden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin enorme Lebensvorteile, sei es bei der Bekämpfung von Epidemien, im Katastrophenmanagement, der klugen Verkehrsplanung, der Energiewende oder der medizinischen Forschung. Daten können – bei intelligenter Verwendung – zu einer sozial gerechten, ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft beitragen. Daten helfen uns, besser zu leben. Die Nutzung von Daten kann medizinische Behandlungsmöglichkeiten schon vor Auftreten von Krankheitsanzeichen exponentiell verbessern, sie kann die Luftfahrt sicherer machen, die Müllentsorgung vereinfachen oder die notwendige Reparatur von Schlaglöchern punktgenau kommunizieren und ermöglichen. Datensammeln und Datenteilen stehen hier für Lebenserleichterung, ja sogar Lebensrettung. Sich dem Thema Datenteilen mit Angst zu nähern, führt nicht nur zu spürbaren Innovationshemmnissen, sondern blockiert den Alltag. Im gewissen Umfang sollten Bürgerinnen und Bürger es als Pflicht verstehen, in bestimmten Lebensbereichen Daten zu teilen – soweit nötig selbstverständlich anonymisiert. Dafür ist es aber erforderlich, dass wir das Narrativ ändern – die Chancen betonen: Bei der Krebsforschung, in unseren Kommunen, oder bei der nächsten Reiseplanung.

Der sinnvolle Umgang mit Daten wird uns auch helfen, den Mangel an Arbeitskräften zumindest teilweise zu lindern; paradoxerweise gerade da, wo der Mensch im Mittelpunkt stehen muss: In der Medizin, der Pflege, der Bildung – dort kann Digitalisierung das Personal entlasten, Raum schaffen, sich Patienten, Pflegebedürftigen oder Heranwachsenden zuzuwenden.

Ganz sicher werden mit der zunehmenden Digitalisierung auch Arbeitsplätze verloren gehen, zugleich aber verändern sich die Tätigkeiten und es entstehen ganz neue Jobs – das ist eine dauernde Begleiterscheinung von Transformationsprozessen. Wir brauchen eine Debatte darüber, welche Professionen wir zwingend benötigen und welche wir durch eine konsequente Digitalisierung und die Nutzung von Daten ersetzen können, weil Arbeitskräfte Mangel bleiben werden. Die Angst vor Massenarbeitslosigkeit ist so alt wie der technische Fortschritt an sich. Die bisherigen Erfahrungen aber haben gezeigt: Technische Innovationen führen zu höherer Produktivität und steigern die Nachfrage nach Arbeitskräften – vor allem mit guten Qualifikationen und digitalen Kompetenzen, was lebenslanges Lernen umso bedeutsamer macht.

Um Daten zugänglich zu machen, weiterverwenden zu können und ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten, ist ein differenzierter Ansatz elementar. Die Maßstäbe müssen allerdings bei Klimadaten weniger streng sein als bei personenbezogenen Daten, für die die Datenschutz-Grundverordnung den richtigen Rahmen setzt. Datenschutzrechtliche Prinzipienreiterei gefährdet unseren gesellschaftlichen Erfolg. Die Sorge vor Datenschutzverstößen treibt insbesondere im Gesundheitswesen Blüten. Damit meine ich konkret: Länderübergreifende klinische Forschungsvorhaben sollten nicht dadurch blockiert werden, weil sie sich mit über 100 Datenschutzeinrichtungen, die die geltenden Regeln häufig unterschiedlich strikt auslegen, absprechen müssen. Deswegen müssen wir die wohlfahrtsfördernden und chancenorientierten Aspekte des Datensammelns und Datenteilens nicht nur für die Wirtschaft, sondern konkret für unser aller Alltag in den Vordergrund stellen. Dafür müssen wir an unserem Denkfehler, Daten seien grundsätzlich schlecht, arbeiten.

Unsere Datenstrategie setzt hier an: Sie beschreibt Wege zu einer verantwortungsvollen, effektiven und zukunftsfähigen Datennutzung und formuliert unseren Fahrplan für die nächsten Jahre. Beispielsweise soll ein Forschungsdatengesetz den Zugang zu Daten für die öffentliche und die private Forschung erleichtern. Zudem initiierten wir als Staat die Zündung für das Datenteilen: Wir führen einen Rechtsanspruch auf Open Data ein, wodurch die Veröffentlichung bestimmter Behördendaten einklagbar wird. Mit dem Ende November verabschiedeten EU-Data Act wollen wir EU-weit Datenmonopole aufbrechen, Datensilos verhindern und klare Regeln für faires, diskriminierungsfreies Bereitstellen von Daten zwischen Unternehmen institutionalisieren. Wir haben uns in den Verhandlungen für Verbesserung für KMUs, beim Geschäftsgeheimnisschutz und beim Datenzugang für öffentliche Stellen eingesetzt. Auch mit den Maßnahmen unserer Digitalstrategie wollen wir zukunftsgerichtete und datenschutzkonforme Datenökosysteme aufbauen. Bei der diesjährigen Consumer Electronics Show in Las Vegas ließ sich beobachten, dass solche Datenökosysteme insbesondere an der Schnittstelle von Digitalisierung und Verkehr sowie für Künstliche Intelligenz große praktische Relevanz haben. Innovation in diesen Bereichen unterstützen wir mit konkreten Maßnahmen: Mit der Mobilithek betreiben wir eine Plattform zu öffentlichen Verkehrsdaten, also z.B. zur Verkehrslage in Echtzeit oder Standorten von Leihfahrrädern; diese verknüpfen wir mit dem privatwirtschaftlich organisiertem und offenen Datenraum Mobility Data Space. Mit unserer „Mission KI“ vernetzen wir Datenräume und schaffen datenraumübergreifende Anwendungsfälle. Über Civic Coding Programme werden wir Bürgerinnen und Bürger selbstbestimmt den Vorteil und den Nutzen von Daten verdeutlichen.

Gesetze und Initiativen können aber immer nur Anstoß sein, oder einen Rahmen bieten. Ihn zu füllen, ist unser aller Aufgabe. Daten können von vielen verschiedenen Akteuren mehrfach und auf unterschiedliche Art und Weise unbegrenzt verwendet werden, ohne, dass es für jemanden nachteilig ist. Deshalb sollen am Ende dieser Legislaturperiode allen – ob Wirtschaft, Staat, Gesundheitswesen oder zivilen Organisationen – mehr und zielgerichteter Daten in einheitlichen Standards zur Verfügung stehen. Hier müssen wir das Silodenken durchbrechen. Die einmalige Chance, die Datenschätze bieten, dürfen wir nicht nur deshalb nicht vertun, um die Vielfalt der möglichen wirtschaftlichen Innovationen zu fördern – sondern um unser aller Leben zu verbessern. Wir alle, Wirtschaft, Staat, jede Bürgerin, jeder Bürger, sind hier in der Pflicht, eine 180-Grad Denkwende im Verhältnis zum Thema Daten vorzunehmen.

Wir müssen das Erheben und das Zurverfügungstellen von Daten als wichtigen Beitrag für die Allgemeinheit erkennen. Digitalisierung ist nämlich längst auch eine soziale Frage.