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Quelle: iRights.Lab

Digitale Zwillinge können sowohl einzelne Phasen als auch den gesamten Lebenszyklus eines Infrastruktur- oder Bauvorhabens als digitales Modell abbilden – von Planung, Genehmigung und Bau über den Betrieb, die Verwaltung und das Management bis hin zur Umnutzung. Damit bergen sie erhebliche Potenziale, um in der Praxis der Infrastrukturbereitstellung zu einer höheren Effizienz und Ressourcenschonung zu kommen und Herausforderungen wie die Anpassung an den Klimawandel und die Bewältigung des Sanierungs- und Investitionsstaus zu begegnen.

Mit dem seitens des BMDV finanzierten Forschungsprojekts „Digitale Zwillinge für die Infrastruktur“ sollen potenzielle Anwender durch einen umfassenden Überblick über die konzeptionellen Ansätze, Anwendungsfälle, Umsetzungsmöglichkeiten sowie die Voraussetzungen und notwendigen Schritte bei der Einführung von Zwillingsprojekten unterstützt werden.

Auf Basis der Zusammenstellung der Potenziale und Chancen werden im Dialog mit der Fachgemeinde Empfehlungen für die Praxisumsetzung abgeleitet.

Die ersten Erkenntnisse des durch das iRights.Lab durchgeführten Förderprojekts werden entlang der folgenden Themen dokumentiert:

Von Theorie und Konzeption in die Praxis: Digitale Zwillinge für Infrastruktur, Bau und Wohnen – Projektdarstellung

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Quelle: iRights.Lab

Globale Herausforderungen wie der Klimawandel oder der wachsende Investitionsstau auf nationaler Ebene setzen etwa öffentliche Infrastrukturen stark unter Druck. Es wird deshalb immer wichtiger, Infrastrukturen ressourcenschonend, effizient und nachhaltig zu planen, zu betreiben und weiter zu nutzen.

Digitale Zwillinge ermöglichen beispielsweise Bauwerke über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg effizienter, partizipativer und ressourcenschonender zu gestalten und nutzbar zu machen. Dadurch gewinnen sie für Infrastrukturbetreiber, Kommunen, politische Entscheidungsträger sowie weitere umsetzende Stellen zunehmend an Bedeutung. Das Interesse und der Bedarf an schnell einsetzbaren und praxisnahen Konzepten für digitale Zwillinge steigt stetig.

Ein Ziel des Forschungsprojekts ist es herauszufinden, wie weit der Einsatz digitaler Zwillinge bereits vorangeschritten ist, welche Erfolgsfaktoren identifizierbar sind und welche Hürden es bei der Einführung und Nutzung digitaler Zwillinge gibt.

Als Zwischenfazit wird festgehalten:

Obwohl es bereits viele erfolgreiche Anwendungsfälle, Pilotvorhaben und Ideen zum Einsatz von digitalen Zwillingen gibt, bestehen noch erhebliche Herausforderungen in der praktischen Umsetzung.

Herausforderungen und Chancen erkennen

Gründe für Hürden in der Umsetzung von digitalen Zwillingen können vielfältig sein: In der Praxis mangelt es zunächst oft an einem einheitlichen konzeptionellen Verständnis von digitalen Zwillingen. Auch fehlen meist die nötigen organisatorischen, personellen und finanziellen Ressourcen zur Planung, Umsetzung und Nutzung.

Durch das Forschungsprojekt sollen Hemmnisse bei der Umsetzung von digitalen Zwillingen abgebaut sowie Ansatzpunkte für den Aufbau und die Nutzung definiert werden.

Ein Mix aus Theorie und Praxis

Um ein aussagekräftiges Bild davon zu bekommen, wo und unter welchen Bedingungen digitale Zwillinge aktuell zum Einsatz kommen, nimmt das Forschungsprojekt einen Blick auf Theorie und Praxis ein. Neben einer Analyse der Forschungsliteratur stehen der direkte Austausch mit Experten sowie eine Bestandsaufnahme relevanter Forschungs- und Pilotprojekte im Fokus. Das Projekt zeigt derzeitige Umsetzungsstände digitaler Zwillinge in Deutschland und nimmt dafür insbesondere Anwendungsbeispiele aus den Bereichen Infrastruktur, Bau und Wohnen in den Blick.

Die Untersuchung basiert auf über 40 leitfadengestützten Interviews mit Akteuren aus der Forschung, der öffentlichen Verwaltung und der Privatwirtschaft sowie auf einer Sichtung von über 130 Projekten aus der Praxis. Die Interviewpartner wurden zu unterschiedlichen Aspekten der Planung, Einführung und Nutzung digitaler Zwillinge befragt, um möglichst alle Facetten des Prozesses abzubilden.

Neben einer grundsätzlichen Betrachtung alternativer Definitionsansätze und Begriffsverständnisse von digitalen Zwillingen wurden in den Interviews auch mögliche Anwendungsfelder, der Stand der Umsetzung konkreter Projekte, die Herausforderungen und Erfolgsfaktoren sowie langfristige Wünsche und Visionen mit Blick auf den Einsatz digitaler Zwillinge aufgegriffen.

Mehr als ein digitales Abbild – Beschreibung des Konzepts „Digitaler Zwilling“ und seiner wesentlichen Komponenten

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Quelle: iRights.Lab

Wer im Bausektor, in der Verwaltung oder auch im Planungsbüro arbeitet, kommt nicht umhin, sich mit digitalen Zwillingen auseinanderzusetzen. Hinter dem Begriff verbirgt sich mehr als nur ein „digitaler Hype“ und es besteht weitgehend Einigkeit in der Fachgemeinde, dass digitale Zwillinge die Planung, Konstruktion und vor allem das Management von Bauwerken und Kommunen in vielerlei Hinsicht verbessern können.

 

Auch wenn über die grundsätzlichen Potenziale digitaler Zwillinge ein Grundkonsens zu erkennen ist, gibt es unterschiedliche Auffassungen davon, was einen digitalen Zwilling konkret ausmacht. Eine einheitliche, übergreifende Definition ist schwierig, denn je nach Einsatzgebiet kann der Blick auf digitale Zwillinge ein anderer sein. Eine konzeptionelle Annäherung ist dennoch entscheidend, um Praxisbeispiele einordnen und zukünftige Anwendungsmöglichkeiten für den Infrastruktursektor und die Kommunalverwaltung insgesamt absehen zu können. Auch bei der praktischen Umsetzung digitaler Zwillinge bildet das gemeinsame Verständnis der Beteiligten eine wichtige Grundlage für alle folgenden Umsetzungsschritte.

Digitale Zwillinge basieren nicht auf der „einen“ Technologie

Obgleich digitale Zwillinge häufig als „Schlüsseltechnologie“ angesehen werden, sind sie keine abgeschlossene Technologie. Vielmehr sind sie als Konzept zu verstehen, in dessen Rahmen verschiedene Komponenten, Daten, Technologien bzw. Anwendungen miteinander verknüpft werden. Dazu zählen unter anderem Künstliche Intelligenz, Internet of Things, Big Data, Virtual/Augmented/Mixed Reality, Business Intelligence, Dashboards oder 3D-Modelle und -Anwendungen.

 

Der primäre Zweck eines digitalen Zwillings ist in der Regel, physische Objekte, Prozesse oder Systeme in einer virtuellen Umgebung, dynamisch und möglichst in Echtzeit abzubilden. Digitale Zwillinge zeigen damit nicht nur den Zustand eines Referenzobjekts zu einem bestimmten Zeitpunkt an, sondern können bei einem hohen Reifegrad auch Prognosen, Simulationen und die Steuerung des Referenzobjekts, -systems oder -prozesses ermöglichen. Das erfordert neben digitalen Modellen entsprechende Sensoren, Datenplattformen, physikalische Modelle und Visualisierungsmöglichkeiten.

Komplexere digitale Zwillinge verfügen über einen dauerhaften, wechselseitigen Datenfluss zwischen dem physischen Objekt, System oder Prozess und dem digitalen Abbild. Ergänzt durch entsprechende Steuerungsmechanismen können digitale Zwillinge ebenso eine Rückkopplung auf die physisch-reale Welt ausüben. In ihrem höchsten Komplexitätsgrad werden die Entscheidungsprozesse, die diese Reaktionen auslösen, automatisiert gesteuert. So ist etwa vorstellbar, dass mit einem digitalen Zwilling einer Einkaufsstraße die Besucherauslastung überwacht, die Verkehrssteuerung gegebenenfalls angepasst und Straßen für Autos automatisiert gesperrt werden können.

Trotz der komplexen und unterschiedlichen Anwendungsformen ist es möglich, die grundlegenden Merkmale eines digitalen Zwillings zusammenfassend zu beschreiben.

Hierzu wurde im Projekt folgende Arbeitsdefinition entwickelt:

Digitale Zwillinge sind virtuelle, dynamische Abbildungen von physischen Objekten, Prozessen oder Systemen. Die Eigenschaften und Zustandsveränderungen des physischen Objekts, Prozesses oder Systems werden mittels Sensoren erfasst und abgebildet. Das virtuelle Abbild und die physische Repräsentanz sind dabei durch eine permanente Datenverbindung verknüpft. Das physische Objekt, der Prozess oder das System kann mithilfe von Sensorik und Steuerungseinheiten (Aktoren) beeinflusst werden.

Was digitale Zwillinge von anderen digitalen Konzepten unterscheidet

Digitale Zwillinge bilden stets nur ausgewählte Aspekte eines Objekts, Prozesses oder Systems ab, um eine spezifische Aufgabenstellung oder Funktion zu erfüllen. Häufig wird daher von Fachzwillingen gesprochen, welche sich auf bestimmte fachliche Aspekte oder Domänen eines Systems konzentrieren.

So ist es etwa möglich, dass in der Straßeninfrastruktur ein Fachzwilling zum Wartungszustand und ein Fachzwilling zur Verkehrsplanung existiert. Um komplexe Informationen zusammenzufassen und verschiedene Anwendungsfälle abzudecken, werden in der Praxis meist mehrere Fachzwillinge parallel genutzt oder sogar miteinander verknüpft.

Digitale Zwillinge schaffen einen realen Praxisnutzen

Um digitale Zwillinge flächendeckend in einer hohen Komplexitätsstufe einzusetzen, ist noch erhebliche Entwicklungsarbeit erforderlich. Dennoch verdeutlichen bestehende Pilot- und Forschungsprojekte schon jetzt konkrete Nutzwerte, die zukünftig auch in der Breite erwartbar sind. Diese lassen wie folgt zusammenfassen:

  • Effizienzsteigerung beim Ressourcenaufwand: Im gesamten Lebenszyklus beispielsweise eines Infrastrukturobjektes können Analysen und Simulationen fundiertere Entscheidungen ermöglichen.

  • Datenkonsistenz und -integration in bestehende Prozesse: Der digitale Zwilling kann insbesondere im Bauwesen als eine konsequente Erweiterung der Methodik für das Building Information Modelling (BIM) verstanden werden. Detaillierte und strukturierte Informationen über das physische Objekt und die Einzelkomponenten können unmittelbar in den digitalen Zwilling integriert und über die Planungsphase hinaus mit dynamischen Echtzeitinformationen über Sensoren und Internet of Things-Geräten, beispielsweise mit Daten zu Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Energieverbrauch, Belegungsstatus oder auch Verschleißzuständen von Bauteilen, verknüpft werden.

  • Innovation: Das Zusammenwirken unterschiedlicher Fachdisziplinen regt die Innovationskraft an. Gerade im kommunalen Kontext liegt hier ein großes Potenzial, um über die Bandbreite der unterschiedlichen Fachbereiche und Behörden durch die gemeinsame Umsetzung und Nutzung von digitalen Zwillingen dauerhaft die Zusammenarbeit zu stärken.

  • Ressourcenschonung: Digitale Zwillinge können dazu beitragen, Infrastrukturbauwerke, aber auch Kommunen insgesamt ressourcenschonender und klimafreundlicher zu verwalten. Eine Reduktion von Materialverbrauch und CO₂-Emissionen im Zusammenhang mit Bauwerken ist beispielsweise dadurch möglich, dass der Einsatz digitaler Zwillinge die Lebensdauer von bestehenden Bauwerken durch ein optimiertes Bauwerkmanagement verlängern kann.

  • Kommunikation und Interoperabilität: Vor allem im kommunalen Kontext versprechen digitale Zwillinge einen erheblichen Nutzen in der Kommunikation mit und Teilhabe von Bürgern, aber auch organisationsintern zwischen Mitarbeitern.

Durch den Einsatz digitaler Zwillinge wird eine sogenannte „Single Source of Truth“ geschaffen, also eine Datenquelle, die relevante Daten integriert und gleichzeitig qualitativ verlässlich ist. Damit wird eine valide Grundlage für Entscheidungsprozesse gelegt. Der digitale Zwilling wird zu einer übergreifenden Informationsplattform, die verschiedene Systeme und Anwendungen miteinander verbindet und stellt so ein effizientes Werkzeug für das Wissensmanagement dar.

Konzepte, die sich ergänzen und aufeinander aufbauen – BIM, GIS und digitale Zwillinge

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Quelle: iRights.Lab

Mit Blick auf den Praxisaufbau digitaler Zwillinge ist es erforderlich, eine konzeptionelle Abgrenzung zur BIM-Methode und zum Geographischen Informationssystemen (GIS) herzustellen. Vor allem bei sich überschneidenden Anwendungsbereichen der Konzepte sind die Unterschiede nicht unmittelbar offensichtlich. Digitale Zwillinge sind jedoch nicht nur statische Abbilder ihrer physischen Repräsentanzen; mit der Datennutzung aus BIM-Modellen und GIS-Anwendungen können sich die Konzepte sinnvoll ergänzen.

Folgende Abgrenzungsmerkmale lassen sich identifizieren:

  • Building Information Modeling (BIM) ist eine Arbeitsmethode mit dem Ziel, ein virtuelles, vor allem geometrisches Modell eines Bauobjektes beispielsweise in 3D zu erzeugen. Das standardisierte Modell kann von verschiedenen Beteiligten genutzt und bearbeitet werden. Die Modelle beinhalten statische Informationen, etwa zu Baustoffen, Gewicht, Maßen und weiteren Details. BIM kommt aktuell vor allem im Bauwesen zum Einsatz.

  • Geografische Informationssysteme (GIS) werden in der Regel als Basistechnologie eingesetzt, um geografische Daten zu sammeln, zu verwalten, zu analysieren und in Form von Karten, 2D- oder 3D-Modellen darzustellen. Sie werden insbesondere in der Stadtplanung, der Logistik und im Katastrophenschutz genutzt.

  • Digitale Zwillinge sind demgegenüber als Konzept zu beschreiben, das verschiedene technologische Komponenten und Anwendungen miteinander verknüpfen kann. Digitale Zwillinge werden eingesetzt, um virtuelle, dynamische Abbildungen von physischen Objekten, Prozessen oder Systemen zu erschaffen. Deren Eigenschaften und Zustandsveränderungen werden mittels Sensoren erfasst und abgebildet. In der Regel besteht eine permanente Datenverbindung zwischen physischer Repräsentanz und virtuellem Abbild. Der Datenfluss ist in vollumfänglicher Umsetzung des Konzepts beidseitig (bidirektional), was ermöglicht, das physische Objekt, den Prozess oder das System mithilfe von Sensorik und Steuerungseinheiten (Aktoren) zu beeinflussen.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Die Abgrenzung der Konzepte zeigt, dass durchaus Gemeinsamkeiten zwischen BIM, GIS und digitalen Zwillingen bestehen. Alle drei Methoden bzw. Technologien können eingesetzt werden, um Objekte oder Punkte aus der physischen Welt virtuell abzubilden. BIM und digitale Zwillinge können sich auf Objekte wie Bauwerke beziehen und diese – in der Regel in 3D – abbilden. GIS und digitale Zwillinge überschneiden sich wiederum hinsichtlich ihrer Anwendungsbereiche, beispielsweise in der Stadtplanung.

Der bidirektionale Datenfluss ist zentrales Unterscheidungsmerkmal komplexerer digitaler Zwillinge im Vergleich zu BIM und GIS. Die im BIM eingesetzten Daten sind statisch, werden oftmals von Hand vom (geplanten) Objekt ins virtuelle Abbild (unidirektional) übertragen und meist nach erstmaliger Abnahme in unregelmäßigen Abständen aktualisiert. Dynamische Daten können im Rahmen von GIS verarbeiten werden, diese fließen jedoch ebenfalls nur in eine Richtung (unidirektional) und werden oft nur in größeren Abständen aktualisiert.

Digitale Zwillinge schaffen hingegen im Idealfall ein dauerhaftes Echtzeit-Abbild aus statischen und dynamischen Daten und können, wie bereits beschrieben, eine Steuerungsmöglichkeit beinhalten, um auf eine Veränderung des physischen Objekts oder Prozesses reagieren zu können. Dies kann gegebenenfalls sogar automatisiert ablaufen. Digitale Zwillinge können somit ähnliche, aber auch viele weitergehende Zielstellungen (beispielsweise Echtzeit-Prozesssteuerung) erfüllen.

BIM und GIS gehen häufig in Digitalen Zwillingen auf

Das Verhältnis von digitalen Zwillingen zu den Konzepten BIM und GIS kann ebenso als symbiotisch beschrieben werden. In der Praxis sind alle Konzepte oft eng miteinander verzahnt, sowohl geografische Daten als auch Bauwerksdaten aus GIS bzw. BIM können eine Datengrundlage für digitale Zwillinge sein. Beispielsweise kann das BIM-Modell eines geplanten Gebäudes, kombiniert mit Geoinformationen und dynamischen Daten des Baufortschritts, während der Bauphase zum digitalen Zwilling des Gebäudes werden und dessen Baufortschritt abbilden.

BIM-Modelle können in digitale Zwillinge von ganzen Kommunen oder Schienenstrecken integriert werden. Dadurch ist, anders als bei Darstellungen basierend auf Punktwolken oder Satellitenbildern, ein höherer Detail- und Planungsgrad für einzelne Infrastrukturen möglich.

Eine vollständige Integration von BIM-Modellen beispielsweise aller Gebäude einer Stadt in einem digitalen Zwilling ist derzeit innerhalb eines wirtschaftlich tragbaren Rahmens noch nicht möglich. Die konkreten Nutzwerte von Simulationen und automatisierten Steuerungsvorhaben gilt es zudem noch genauer zu ermitteln. Dass weitere Potenziale erschlossen werden können, wenn die Konzepte gemeinsam genutzt werden, wird von den meisten Experten als sehr wahrscheinlich angesehen.

Von der Schiene bis aufs Wasser – Übersicht Anwendungsbereiche digitaler Zwillinge

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Quelle: iRights.Lab

Die im Rahmen des Forschungsprojekts identifizierten Projekte und Vorhaben, welche sich mit verschiedenen Aspekten von digitalen Zwillingen befassen oder Fachzwillinge entwickeln, lassen sich in folgende Hauptanwendungsbereiche unterteilen: 

  • Schieneninfrastruktur und -betrieb
  • Straßeninfrastruktur und Verkehrssteuerung
  • Wasserstraßen und Gewässermanagement
  • Energie und Wärme
  • Kommunalverwaltung
  • sektorübergreifendes Bauwesen
Karte: Digitaler Zwilling
[Quelle: BMDV]

Dem Bereich der Kommunalverwaltung werden hierbei 51 Prozent, den Bereichen Schiene, Wasser und Straße 22 Prozent, dem Bereich sektorübergreifendes Bauwesen 21 Prozent und den Bereichen Energie und Wärme 6 Prozent der identifizierten Projekte zugeordnet. Im Laufe des Forschungsprojekts werden weitere Auswertungen zu den identifizierten Daten und Zuordnungen vorgenommen.

Schlüssel für eine erfolgreiche Umsetzung digitaler Zwillinge – Übersicht der zentralen Handlungsfelder und -bedarfe

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Quelle: iRights.Lab

Welche zentralen Herausforderungen begegnen den Akteuren aus der Verkehrsinfrastruktur, den Beteiligten an Planungs- und Bauprozessen sowie der Kommunalplanung bei der Einführung digitaler Zwillinge? Welche organisatorischen, technischen und prozessualen Ursachen liegen diesen Herausforderungen zugrunde? Und welche Faktoren haben sich in bestehenden Praxisprojekten als besonders erfolgversprechend für eine schrittweise Umsetzung digitaler Zwillinge erwiesen?

Ausgehend von diesen Leitfragen werden identifizierte Hürden und Herausforderungen im Sinne von Erfolgsfaktoren skizziert.

Als ein Zwischenergebnis des Forschungsprojektes lassen sich hieraus folgende Handlungsfelder und -bedarfe identifizieren:

1. Organisatorische Voraussetzungen

Hinsichtlich der organisatorischen Voraussetzungen für die erfolgreiche Einführung von digitalen Zwillingen sind mehrere Schritte erforderlich: Eine frühzeitige Einbeziehung aller relevanten Akteure, die Anpassung bestehender Organisationsstrukturen, die Etablierung einer offenen Fehlerkultur, die Bereitstellung personeller und finanzieller Ressourcen im Bereich Technik und Projektmanagement sowie die Stärkung der interkommunalen Zusammenarbeit. Der Erfolg hängt aber auch von einer gezielten Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie von der klaren Kommunikation und Verdeutlichung von Vorteilen und Erfolgsbeispielen ab.

2. Verständnis und Zielsetzung von digitalen Zwillingen

In diesem Handlungsfeld wird besonders die Bedeutung eines gemeinsamen Verständnisses des Konzepts „Digitaler Zwilling“ unter allen Beteiligten sowie die Berücksichtigung des spezifischen Anwendungskontexts hervorgehoben. So kann ein fehlender Konsens darüber, was im jeweiligen Anwendungsfall unter einem digitalen Zwilling zu verstehen ist, zu Missverständnissen und überhöhten Erwartungen führen. Ein solcher Konsens ist Teil des Erwartungsmanagements und bildet die Grundlage für alle weiteren Projektschritte. Eine genauere Betrachtung der Komplexitätsstufen von digitalen Zwillingen kann dabei helfen, gewünschte Funktionen und Einsatzbereiche realistisch einzuschätzen.

Zudem ist es wichtig, frühzeitig von konkreten Zielsetzungen und Anwendungsfällen auszugehen und die Herausforderungen klar zu definieren, welche der digitale Zwilling lösen soll. Auf dieser Basis lässt sich prüfen, ob der Einsatz eines digitalen Zwillings die optimale Lösung darstellt oder ob alternative, effizientere Ansätze infrage kommen. Ist der digitale Zwilling die beste Wahl, sollten die Zielsetzungen in die Projektplanung integriert werden, wobei Synergien und die Anschlussfähigkeit mit übergeordneten Digitalisierungsstrategien und anderen laufenden Vorhaben berücksichtigt werden müssen.

3. Operative Umsetzung

Wurde entschieden, dass ein digitaler Zwilling die beste Lösung für ein bestehendes Problem ist, beginnt die praktische Planung der Umsetzung. Hierbei gilt es, die Nutzergruppen des Systems und deren Bedürfnisse präzise zu identifizieren. Zudem ist es zentral, technische und personelle Verfügbarkeiten sowie Kapazitäten zu überprüfen und die Projektplanung entsprechend zu strukturieren. Die wesentlichen Aspekte der operativen Umsetzung sind:

  • Bestimmung des Anwendungsfalls und der Anforderungen: Eine präzise Definition des Anwendungsfalls, die Identifikation spezifischer Herausforderungen und die Überprüfung der technischen Anforderungen zur Sicherstellung der Machbarkeit sind essenziell. So sollten beispielsweise für einen digitalen Zwilling in der Hochwasserprävention Anforderungen wie die Genauigkeit der Vorhersage und Reaktionszeit klar definiert werden.
  • Bestimmung der Zielgruppe: Eine frühzeitige Analyse der primären und sekundären Nutzergruppen sowie der Personengruppen mit besonderen Bedürfnissen sind entscheidend, um sicherzustellen, dass die Funktionen des digitalen Zwillings den spezifischen Anforderungen entsprechen. In der Stadtplanung müssen beispielsweise verschiedene Akteure frühzeitig in die Konzeption einbezogen werden: Von der Verwaltung über die regionale Wirtschaft, gegebenenfalls Bürgerinitiativen oder Organisationen für Bedarfe von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen.
  • Roadmap – Umsetzungsschritte festlegen: Es sollte eine detaillierte und flexible Roadmap entwickelt werden, die alle wesentlichen Umsetzungsschritte und Meilensteine umfasst. Dabei sollten relevante Aspekte aus bestehenden Digitalisierungsprojekten integriert und Synergieeffekte genutzt werden. So können beispielsweise bestehende Sensoren aus anderen Projekten und Maßnahmen eingebunden werden, um den digitalen Zwilling effizienter zu gestalten.
  • Wirkungsmessung: Eine Wirkungsmessung kann dazu beitragen, die erwarteten Effekte des digitalen Zwillings strukturiert darzustellen. Wo möglich, sollten standardisierte Indikatoren und Leitfäden verwendet werden, um eine konsistente Messung zu gewährleisten. Beispielsweise können für einen digitalen Zwilling zur Energieeffizienz Indikatoren wie Energieeinsparung oder CO₂-Reduktion herangezogen werden.

4. Dateninfrastruktur

Digitale Zwillinge beruhen grundlegend auf stets aktuellen und teils hoch komplexen Daten, die in Fachzwillingen verarbeitet und visualisiert werden müssen. Mit dieser Bedingung gehen hohe Anforderungen an die Expertise des Personals, aber auch an die technische Ausstattung und Infrastruktur einher. Gleichzeitig stehen Zwillingsvorhaben – vor allem aus Sicht der öffentlichen Betreiber – häufig vor der Herausforderung, vorhandene Daten aus unterschiedlichen Quellen integrieren zu müssen. Eine große Herausforderung in der Umsetzung ist es daher, Lösungen zu finden, um „Daten-Silos“ zu öffnen und den Austausch zwischen Institutionen und Fachbereichen zu erleichtern.

Eine erfolgreiche Umsetzung digitaler Zwillinge erfordert die Aggregation und Vereinheitlichung von Datenquellen, um Herausforderungen wie ungenaue, unstrukturierte oder veraltete Daten zu bewältigen. Dazu ist oft eine umfassende Dateninventur erforderlich, um den aktuellen Zustand der Daten zu erfassen und mit den Anforderungen für digitale Zwillinge abzugleichen. Diese Inventur bildet die Grundlage für die Entwicklung robuster Data-Governance-Strukturen, die für die Verwaltung und Qualitätssicherung der Daten sowie die Erfüllung von gesetzlichen Anforderungen wie beispielsweise des Datenschutzes unerlässlich sind. Ein weiterer Aspekt der Verbesserung des Zugangs und der Nutzung der Daten ist außerdem die Standardisierung von Daten und Datenverarbeitungsprozessen. Schließlich ist es entscheidend, dass Benutzer spezifische Kompetenzen im Umgang mit Daten entwickeln und regelmäßig geschult werden, um den sicheren und effizienten Einsatz der digitalen Zwillinge sicherzustellen und gesetzliche Anforderungen an die Datenverarbeitung zu erfüllen.

5. Technische Infrastruktur

In den Experteninterviews wurde deutlich, dass der Aufbau der technischen Infrastruktur – und somit Aspekte wie Server, Speicherplatz und Anbindung von Schnittstellen – in der Regel mit dem Wissen von vorhandenem Fachpersonal weitgehend ohne größere Schwierigkeiten bewältigt werden kann. Dennoch bestehen einige Herausforderungen bei der Realisierung einer tragfähigen technischen Infrastruktur als Grundlage zum Aufbau eines digitalen Zwillings.

So ermöglicht beispielsweise ein breites Spektrum an Anbietern im Bereich Internet of Things und Digitalisierungsprodukte eine technologieoffene Auswahl von Hard- und Software für digitale Zwillinge, was aber gleichzeitig die Übersicht über die Produktlandschaft erschwert. Bei der Technologieauswahl sollten daher insbesondere Fragen wie die Nutzung offener Dateiformate, Lizenzbedingungen, Open-Source-Standards und Sicherheitszertifizierungen der Produkte berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist der technische Aufbau von digitalen Zwillingen aufgrund der parallelen Anschaffung und des Ausbaus mehrerer neuer Systeme oft komplex und erfordert eine sorgfältige Planung des Systemaufbaus und der Systemintegration. Nicht zuletzt ist auch die IT-Sicherheit ein weiteres zentrales Thema mit Blick auf Risiken wie Datenraub und Systemausfälle. Bei der Implementierung von digitalen Zwillingen sind umfassende Sicherheits- und Ausfallschutzmaßnahmen notwendig, um die digitale Infrastruktur zu schützen und im Notfall den Betrieb aufrechtzuerhalten.

6. Regulatorische Rahmenbedingungen

Der Einsatz von digitalen Zwillingen erfordert nicht nur eine solide Daten- und Technikinfrastruktur, es gilt auch, verschiedene weitere rechtliche Aspekte zu beachten. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde deutlich, dass insbesondere die Thematik rechtlicher Regelungen des Datenzugangs, des Datenschutzes sowie Fragen zu bestehenden Rechtsverfahren und -prozessen bezüglich der praktischen Umsetzung digitaler Zwillinge besonders relevant sind.

Im Bereich der Datenzugriffsrechte und -bereitstellungspflichten wurden primär die eingeschränkte Verfügbarkeit und die variierende Qualität öffentlich bereitgestellter Daten hervorgehoben. Dies führt in der Praxis häufig zu Verzögerungen bei der Umsetzung von Zwillingsprojekten oder zu einem Rückgriff auf private Datendienstleister, um die erforderliche Detailtiefe der Informationen zu erreichen und den Aufwand der Datenaufbereitung zu minimieren. Im Rahmen der Experteninterviews wurde die verzögerte Umsetzung des bestehenden rechtlichen Rahmens für die Bereitstellung der Dateninfrastruktur häufig kritisiert. Unklarheiten bestünden darüber, welche Rechtsmittel zur praktischen Durchsetzung des Anspruchs auf Datenzugang gegenüber Dritten zur Verfügung stehen. In diesem Kontext wurden wiederholt Wünsche nach einheitlichen Open-Data-Regelungen, einer konsequenten Umsetzung des bestehenden Rechtsrahmens und der Etablierung standardisierter Prozesse zur Datenbereitstellung geäußert.

Datenschutz ist zudem ein wichtiges Anliegen. Auszuräumen sind bestehende Unsicherheiten bei der Einhaltung von Datenschutzvorschriften, wie etwa bei der Feststellung der Personenbeziehbarkeit bestimmter Datenarten (wie Ortho- oder Energieverbrauchsdaten) oder bei einer möglicherweise restriktiven Auslegung von Datenschutzvorschriften durch Betriebsräte.

Die Experten betonten mehrfach die Notwendigkeit, die bestehenden Rechtsverfahren und -prozesse zu verbessern, die bei der Implementierung digitaler Zwillinge relevant sind. Besonders häufig wurden Verzögerungen aufgrund komplexer Vergabe- und Genehmigungsprozesse angesprochen. Gleichzeitig wurde auch die Nutzung digitaler Zwillinge zur Optimierung von Verfahren diskutiert, mit Verweisen auf Länder wie Finnland und einige baltische Staaten, in denen digitale Zwillinge bereits erfolgreich zur Effizienzsteigerung von Genehmigungsprozessen, beispielsweise bei der Umsetzung von Brandschutzvorschriften in Baugenehmigungsverfahren, eingesetzt werden.

7. Digitalethische Fragestellungen

Die digitalethische Perspektive gewinnt vor allem im Kontext der Digitalisierung der Stadtplanung und -entwicklung zunehmend an Bedeutung. So erarbeiten unterschiedliche Städte wie Konstanz oder Bamberg ethische Leitlinien und Prozesse für eine strukturierte und systematische Bewertung von Digitalisierungsprojekten. Die digitalethische Perspektive für digitale Zwillinge wird national und international immer wichtiger. So entstehen ethische Leitlinien wie beispielsweise der im Projekt „Connected Urban Twins“ erarbeitete praktische Leitfaden zu ethischen Fragestellungen in Bezug auf digitale Simulationen und Modelle in Stadtzwillingen. Anhand solcher Leitfäden lassen sich Fragen nach impliziten Werturteilen und Annahmen bei der Konzeption eines digitalen Modells bewerten.

Vielfach wurde auf Experteneben der Wunsch nach einer praxisnahen Handlungsanleitungen zum Umgang mit ethischen Herausforderungen bei der Konzeption und Umsetzung von digitalen Zwillingen geäußert. Eine solche Handlungsanleitung könnte Anforderungen und Umsetzungshinweise zur Vermeidung von Diskriminierung, einer ressourcen- und emissionsintensiven Datenverarbeitung vor dem Hintergrund des Klimawandels oder zur Transparenz und Nachvollziehbarkeit algorithmen-basierter Entscheidungen beinhalten.

Ausblick

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Quelle: iRights.Lab

Im weiteren Projektverlauf werden die dargestellten ersten Ergebnisse des Forschungsprojekts weiter aufbereitet und auf den Seiten des BMDV veröffentlicht. Dazu zählen eine umfassende Publikation, die sämtliche Erkenntnisse im Detail zusammenfasst, sowie eine Veröffentlichung mit konkreten Handlungsempfehlungen für die erfolgreiche Planung und Umsetzung von digitalen Zwillingen in den Bereichen Infrastruktur, Bau und Wohnen. Parallel soll im Rahmen der Veranstaltungsreihe Twin.Labs, der Austausch mit der interessierten Fachöffentlichkeit intensiviert werden. Beiträge zu laufenden Zwillingsprojekten ermöglichen dabei fortlaufende praxisbezogene Einblicke. Das gegenseitige Kennen von Herausforderungen, sodann gefundene Lösungen und die thematisch-fachliche diskursive Bearbeitung einzelner Fragestellungen aus den identifizierten Handlungsfeldern soll dabei im Mittelpunkt stehen.